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Stein und Flöte

Stein und Flöte

Titel: Stein und Flöte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Bemmann
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Sonnenlicht trat, sah man, daß ihre Gesichter sich nur ähnelten, wenn beide auch die gleichen grünen Augen hatten.
    »Ich grüße dich, Meister der Steine«, sagte der Bärtige. »Hast du die Kette schon zusammengefügt?«
    »Du mußt verzeihen, Wendikar«, sagte der Alte, »daß die Kette noch nicht vollendet ist. Ich bin alt, und meine Kräfte lassen nach. Die Glieder hängen schon aneinander, ein Falke am andern; nun muß nur noch der Verschluß eingesetzt werden, und das ist der schwierigste Teil der Arbeit; denn in ihm wird der Falkenzauber verborgen sein, der deiner Tochter dienen soll.«
    »Dann wollen wir dich nicht länger stören«, sagte der Mann, den der Alte Wendikar genannt hatte, und wendete sich zum Gehen, während seine Tochter noch am Arbeitstisch stand und das unfertige Schmuckstück betrachtete.
    »Gefällt dir die Kette?« fragte der Meister der Steine.
    »Ich habe noch nie eine schönere gesehen«, sagte das Mädchen. »Du bist ein großer Künstler.«
    »Ein alter Mann, dem schon die Hände zittern«, sagte der Meister der Steine. »Willst du hierbleiben, während ich den Verschluß einsetze? Es ist gut, wenn jener, der ein solches Stück tragen und benutzen soll, dem Zauber seine eigene Kraft hinzufügt. Erlaubst du ihr das, Wendikar?«
    »Du erweist meiner Tochter eine große Ehre«, sagte Wendikar. Damit verließ er den Raum, und die schwere Tür schloß sich leise hinter ihm.
    »Nimm dir einen Stuhl und setz dich neben mich, Belenika«, sagte der Alte. »Ich will dich nahe bei mir haben bei dieser Arbeit; denn ich fürchte, meine eigenen Kräfte reichen dazu nicht mehr aus.«
    »Wie meinst du das?« fragte das Mädchen. »Soll ich dir helfen?«
    »Nein, nur dasein«, sagte der Alte.
    Belenika holte aus dem Hintergrund des Raumes einen Hocker und setzte sich dicht neben den Meister. »Ist das der Verschluß?« fragte sie und deutete auf ein kunstvoll verschlungenes Gebilde, das neben der Kette auf dem schwarzen Tuch lag.
    »Ja«, sagte der Alte. »Schau dir das Verschlußstück genau an und sage mir, was du siehst.«
    »Es hat die Form eines Falken wie die anderen Glieder der Kette«, sagte Belenika. »Nur ist dieser ein bißchen größer.«
    »Und was siehst du noch?« fragte der Meister.
    Belenika betrachtete den bis in alle Einzelheiten des Gefieders nachgebildeten Vogel genauer und sagte dann: »Er sitzt auf einem Handschuh und trägt eine Kappe mit einem Federbusch wie ein Jagdfalke.«
    »Richtig«, sagte der Meister. »Und nun will ich dir zeigen, wie die Kette sich öffnen läßt.« Er nahm das zierliche Gebilde vom Tisch, drehte den Handschuh ein wenig nach links um seine Achse und löste damit den Falken von seinem Sitz. »Wenn du die Kette schließen willst«, sagte er dann, »mußt du den Handschuh so zwischen die beiden Klauen schieben und nach rechts drehen, und er wird sitzen wie angeschmiedet.« Er gab ihr das Werkstück in die Hand und sagte: »Öffne den Verschluß!«
    Belenika nahm den Falken vorsichtig mit den Fingerspitzen entgegen und versuchte, den Handschuh zu drehen, doch es wollte ihr nicht gelingen. »Es geht nicht!« sagte sie nach einer Weile. Der Meister hatte ihr lächelnd zugesehen. »Das ist auch gut so«, sagte er, »denn sonst könnte sich der Verschluß von selbst lösen. Drücke ein wenig auf den Daumen des Handschuhs!«
    Belenika tastete mit dem Finger über die winzige Erhebung, und schon ließ der Handschuh sich drehen. Sie lachte wie ein Kind, dem eine schwierige Aufgabe geglückt ist. »Ist das etwa schon der ganze Zauber?« fragte sie.
    Der Meister schüttelte den Kopf. »Nein«, sagte er, »das ist nur gewöhnliche Goldschmiedearbeit. Das Schwerste steht uns noch bevor, aber ich will dir zeigen, wie er zur Wirkung gebracht werden wird. Weißt du schon, wozu diese Kette dir dienen soll?«
    Belenika wurde unvermittelt ernst und antwortete: »Mein Vater hat mit mir darüber gesprochen. Du darfst aber nicht meinen, daß ich Höni nur aus diesem Grund heirate. Ich mag ihn wirklich, und mir gefällt seine Art zu leben. Deshalb wollte ich mich zunächst auch weigern, diese Aufgabe zu übernehmen. Erst dem Großmagier ist es dann gelungen, mich davon zu überzeugen, wie wichtig es für Falkenor ist, um die Vorgänge bei den Beutereitern zu wissen. Er hat mir versprochen, daß den Leuten des Khans kein Schaden zugefügt werden soll.«
    »Das hätte er dir nicht eigens zu sagen brauchen«, warf der Meister ein. »Du solltest wissen, daß Falkenor eine

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