Stein und Flöte
Stätte des Friedens ist.«
»Du hast recht«, sagte Belenika. »Ich weiß jetzt auch, daß es dem Großmagier vor allem darum zu tun ist, wie sich die Dinge mit diesem merkwürdigen Bruder des Khans entwickeln, den sie Arni mit dem Stein nennen, und solche Nachrichten will ich ihm gern überbringen, wenn mir deine Kunst dazu verhilft.«
»Das wird sie«, sagte der Meister. »Wie hast du überhaupt fürchten können, einer der Kleinmagier von Falkenor würde seine Hand dazu hergeben, andere Leute ins Verderben zu stürzen? Und das ist auch gleich das erste, was du dir einprägen mußt: Diese Kette soll ausschließlich dem Großen Haus von Falkenor dienen, und ihm dient alles, was Dinge zum Guten wendet. Nur dazu darfst du sie benützen.«
»Soll das heißen, daß ihr Zauber unwirksam bleibt, wenn man damit andere Ziele verfolgt oder gar Böses tut?« fragte Belenika.
»Nein«, sagte der Meister, »und das ist die erste und größte Gefahr, auf die ich dich hinweisen muß. Der Zauber ist an die Handhabung des Verschlusses gebunden und wirkt immer. Wer ihn aber nur aus Eigennutz oder gar zum Schaden anderer gebraucht, der wird über kurz oder lang sich selbst ins Verderben bringen. Bedenke das jetzt, denn die Versuchung wird größer sein, als du jetzt vielleicht meinst.«
»Ich will es mir merken«, sagte Belenika. »Aber du wolltest mir zeigen, wie man die Kraft der Kette aus ihrer Fessel befreit.«
»Genau so wie man einen Jagdfalken fliegen läßt«, sagte der Meister. »Du mußt die Kette so um den Hals legen, daß die Falken nach links fliegen. Wenn du sie dann vorn auf deiner Brust schließt und die Kappe des größeren Falken zurückschiebst, daß seine Augen frei werden, wirst du selbst ein Falke sein, der schneller als der beste Reiter dem Großmagier Nachricht bringen kann. Und vor allem unauffälliger.«
»Wird mein Mann es nicht bemerken, wenn ich tagelang nicht zu finden sein werde?« fragte Belenika besorgt.
»Höni wird oft für längere Zeit mit den Beutereitern unterwegs sein«, sagte der Meister. »Außerdem wirst du um vieles schneller fliegen können als ein gewöhnlicher Falke, allerdings nur dann, wenn dein Flug im Einklang mit deinem Dienst am Großen Haus von Falkenor steht. Bedienst du dich der Kette um deiner eigenen Wünsche willen, wirst du nichts sein als ein gewöhnlicher Falke, der auf Beute aus ist.«
Als er sah, daß Belenika die Kappe zu bewegen versuchte, hielt er sie mit einer Geste seiner Hand zurück und sagte: »Warte! Auch dabei muß man sicher sein, daß dergleichen nicht versehentlich geschieht. Du mußt den Federbusch auf der Kappe mit den Fingerspitzen leicht zusammendrücken. Siehst du! Nun läßt sie sich bewegen.«
»Du hast dir das alles sehr sorgfältig ausgedacht«, sagte Belenika. »Jetzt muß ich nur noch erfahren, wie ich meine menschliche Gestalt zurückbekomme.«
»Das ist einfach«, sagte der Meister. »Du brauchst deinen schönen Falkenkopf nur durch die Kette zu stecken, und zwar diesmal so, daß die goldenen Falken nach rechts fliegen, und schon bist du wieder Belenika. Vergiß aber nicht, danach als erstes dem Falken seine Kappe wieder aufzusetzen! Vor allem aber mußt du dafür sorgen, daß die Kette während deiner Abwesenheit nicht abhanden kommt. Man wird dir eine Magd zur Begleitung mitgeben, die um diese Dinge weiß und darauf achten wird.«
»Was wird geschehen, wenn die Kette während dieser Zeit verloren geht?« fragte Belenika.
»Das ist die zweite Gefahr, in die du dich begibst«, sagte der Meister. »Du müßtest ein Falke bleiben.«
»Und wenn ich sie später wiederfinde?« fragte Belenika. »Dann kann ich doch wieder zu dem Menschen werden, der ich einmal war?«
»Das kommt auf die Zeit an, die du als Falke verbracht hast«, sagte der Meister, »denn das ist die dritte Gefahr, und zwar eine, die ich dir nicht ersparen kann. Obwohl du als Falke so lange leben könntest, wie du als Mensch gelebt hättest, wird das Leben Belenikas während dieser Zeit dennoch so rasch ablaufen wie das Leben eines Falken. Der Falke wird davon nichts spüren, aber nur ein Jahr, das du in seiner Gestalt verbringst, wird dich bei der Rückkehr in deinen Körper um viele Jahre älter machen. Sorge also dafür, daß du deine Flüge nach Falkenor so rasch wie möglich hinter dich bringst. Schon diese wenigen Tage werden dich rascher altern lassen, aber das ist der Preis, den man für die Freiheit eines Falken unter dem Himmel zahlen muß.«
»Es muß
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