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Stein und Flöte

Stein und Flöte

Titel: Stein und Flöte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Bemmann
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Mäuserich heißt jetzt ›Der-dem-Falken-weissagt‹, denn er hat ihm ein böses Ende prophezeit.«
    »Tüchtig!« sagte Urla. »Von Mäusen habe ich schon immer viel gehalten. Aber was ist mit dem Bocksfüßigen, von dem die Mäuse reden?«
    »Sie sagen, er sei zu Stein geworden«, sagte er, »und nun warten sie, daß er aus seiner Erstarrung erwacht. Es gibt allerdings auch eine Maus, so eine dicke, die immer an irgend etwas herumnagen muß, die meint, er müsse nun für immer ein Stein bleiben.«
    »Dummes Zeug!« sagte Urla. »Höre nie auf Leute, die nichts anderes im Sinn haben, als sich den Bauch vollzuschlagen! Zur rechten Zeit und mit den richtigen Leuten ist Essen eine gute und wichtige Sache, aber das ist noch lange nicht alles, worauf es im Leben ankommt. Hast du ihn denn gesehen, diesen Bocksfüßigen, von dem die Mäuse reden?«
    »Nein«, sagte er. »Das ist ja das Merkwürdige. Sie reden von ihm, als stünde er vor ihnen, aber ich kann ihn nirgends entdecken.«
    »Das ist freilich zum Verwundern«, sagte Urla. »Was weißt du denn noch von diesem Bocksfüßigen?«
    »Was die Mäuse so erzählen«, sagte er. »Er soll früher einen bedeutenden Namen gehabt haben, aber jetzt kann er sich nicht einmal wehren, wenn ihn die Vögel mit ihrem Mist bekleckern. Er hat wohl sein Glück mit dem Stein verloren, den der Falke ihm gestohlen hatte. Vielleicht hat er sich zu viel auf seinen großen Namen eingebildet. Nur die Mäuse sind offenbar noch immer seine Freunde und hüten jetzt seinen Stein.«
    »Kluge Tiere«, sagte Urla. »Weißt du, von wem er den Stein bekommen hat?«
    »Nach allem, was ich bisher gehört habe, muß ein gewisser Arni diesen Stein früher besessen haben, ehe ihn der Bocksfüßige bekam. Aber zuerst gehörte er einer alten Frau.«
    »Du hast das Zuhören inzwischen schon recht gut gelernt«, sagte Urla. »Wer mag diese alte Frau wohl gewesen sein?«
    Er sah jetzt nur noch ihre Augen, und mit einem Mal erkannte er, daß genauso dieser Stein aussah, ein von innen heraus leuchtendes Farbenspiel von Blau, Grün und Violett. »Das warst du!« sagte er. »Bist du dem Bocksfüßigen jetzt böse, daß er den Stein verloren hat?«
    »Hätte ich ihn dann an meinen Tisch eingeladen?« sagte Urla. »Du redest von diesem Bocksfüßigen wie von einem Fremden. Hast du denn nicht gehört, wie ich dich begrüßt habe?«
    »Doch«, sagte er, »aber ich dachte, du hieltest mich für einen anderen.«
    Da nahm ihn die alte Frau in die Arme und sagte: »Ach Junge, willst du dich denn noch immer weigern, der zu sein, der du nun einmal bist? Schau dich doch nur ein einziges Mal an!«
    Kann man das denn? dachte er verwundert und blickte herab auf ein felsiges Gebilde, von dessen moosüberwachsenen Schultern zwei gewulstete Stränge an den Seiten in die Tiefe abfielen bis zu einer zottig zerklüfteten Region, die getragen wurde von zwei nach hinten abgeknickten, an ihren Enden paarig gespreizten Säulen. Moospolster wölbten sich dort unten, wo diese Stützen aus dem Gestein des Untergrundes herauswuchsen, und die ganze Figur spiegelte sich wellig zerfließend im bewegten Wasser des kleinen Teiches, aus dem die Mäuse zu trinken pflegten. Für Augenblicke warf die blinkende Oberfläche auch das Bild des Kopfes dieser Figur zurück, ein Gesicht, das ihm vertraut war und das er als sein eigenes wiedererkannte. Nun schlossen sich die steinernen Abstürze und Schrofen zusammen zu der Gestalt des Bocksfüßigen, der hier stand und auf dessen Erwachen die Mäuse warteten. Das bin also ich, dachte er, so sehe ich aus: ein steinerner Klotz auf klobigen Beinen. Aber schlafe ich denn? Die Mäuse behaupten das, aber ich habe ihnen dabei zugehört und bin sogar bei ihnen zu Hause gewesen. Er begriff das nicht ganz, daß er hier über dieser Quelle stehen und zugleich Zeuge von Ereignissen sein konnte, die sich irgendwo jenseits der Erlen und Birken und, wie es den Anschein hatte, sogar in beträchtlicher Entfernung von diesem Platz abspielten. Er hatte sich dabei als unbeteiligter Zuschauer gefühlt, doch nun wurde ihm bewußt, daß ihn diese Ereignisse durchaus betrafen, wenn er der Bocksfüßige war, von dem ständig geredet wurde. Das war ein merkwürdiges Gefühl, jemand zu sein, den es gab und den man kannte, schön und zugleich beunruhigend, solange man nicht genau wußte, auf welche Weise man in diese Geschehnisse verstrickt war.
    Er fragte sich, ob er das je würde herausfinden können, und geriet dabei in eine Stube,

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