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Stein und Flöte

Stein und Flöte

Titel: Stein und Flöte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Bemmann
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die ihm sofort bekannt erschien. Ein großer, langer Tisch stand in der Mitte, als würden hier zuweilen viele Gäste bewirtet. Auf den hohen Wandborden war allerlei kostbares Geschirr aus Silber aufgereiht, ein bißchen protzig, wie ihm schien, aber doch recht eindrucksvoll, und an der Wand stand, lang wie ein Sarg, eine schön geschnitzte Truhe. Ein in leuchtenden Farben gewebter Teppich war darüber gebreitet, und dennoch blieb ihm der Eindruck einer Totenkiste, so, als müsse eine Leiche in dieser Truhe liegen, wenn man den Deckel zurückschlug. Er sah das Bild vor sich, den aufgeschlagenen Deckel und die heraushängenden Beine des Toten, doch als er nach dem Gesicht des Erschlagenen sehen wollte, stand die Truhe dann doch wieder geschlossen und zugedeckt an der Wand, und es blieb ihm auch keine Zeit, über dieses Vexierspiel nachzusinnen; denn an der Seite des Raumes öffnete sich eine Tür; und Höni trat ein, gefolgt von seiner grünäugigen Tochter. »Wenn er diesmal zurückkehrt, wirst du ihn heiraten müssen«, sagte Höni. »Darüber bist du dir doch im klaren?«
    Höni erschien ihm ein wenig beleibter, als er ihn in Erinnerung hatte; vor allem trug er keine Schläfenzöpfe mehr, sondern hatte sein Haar kurz über den Ohren abgeschnitten. Narzia blickte ihn mit hochgezogenen Augenbrauen an und zuckte mit den Schultern.
    »Hast du etwas dagegen?« fragte sie.
    »Durchaus nicht«, antwortete ihr Vater. »Er hat sich alles in allem recht tüchtig gezeigt und wird uns mit seiner Flöte noch manchen Dienst erweisen können. Ich hatte nur den Eindruck, daß es dir mit dieser Hochzeit nicht besonders eilig ist.«
    »So?« sagte Narzia. »Hattest du das? Wenn er zurückkommt, werde ich mich schon zu entscheiden wissen.«
    »Wofür?« fragte Höni.
    »Das wird sich finden«, sagte Narzia. »Einstweilen reitet er erst einmal nach Falkenor, und man wird sehen, ob er seinen Auftrag erledigen kann.« Sie sagte das so, als bezweifle sie, ob jenem, von dem hier die Rede war, das gelingen könne.
    »Du solltest den Jungen nicht unterschätzen«, sagte Höni. »Ich gebe zu: Anfangs hatte ich nicht viel von ihm erwartet. Wer war er denn schon? Ein grüner Junge, dem man ein paar Gaben in den Schoß gelegt hatte, ohne daß er sich sonderlich darum hätte bemühen müssen. Arni war wohl kaum noch bei Besinnung, als er ihm seinen Stein gab, und die Flöte hat er schlichtweg von seinem Großvater geerbt. Aber eines muß man sagen: Er versteht sie auf eine Weise zu spielen, die ihm noch einige Macht einbringen wird. Nimm dich in acht, Narzia! Es könnte geschehen, daß er dir eines Tages über den Kopf wächst!«
    »Dieser Junge?« Narzia lachte spöttisch. »Der ist schon jetzt so berauscht von der Macht, die er in Händen zu halten glaubt, daß man mit ihm tun kann, wozu man Lust hat, ohne daß er es auch nur merkt. Er wird immer seinen Träumen nachlaufen, und man braucht ihm nur welche zu schaffen, damit er dorthin läuft, wo man ihn haben will.«
    Höni schaute sie kopfschüttelnd an und sagte: »Aus dir soll einer klug werden! Du warst mir bisher eine gute Tochter und eine große Hilfe, seit deine Mutter gestorben ist, aber wenn ich dich so reden höre, fange ich an, mich zu fürchten. Hast du keine Angst, daß die Zauberdinge, die du dir auf solche Weise zunutze machst, sich einmal gegen dich wenden könnten? Nach allem, was man sich über den sanften Flöter erzählt, hatte er mit seiner Musik etwas anderes im Sinn als das, was dieser Junge jetzt auf deinen Rat hin mit ihr treibt. Und Arnis Stein war wohl auch ursprünglich nicht dafür bestimmt, auf einer goldenen Schale zu liegen, sondern auf dem Herzen eines lebendigen Menschen. Ich bin in diesen Dingen deinem Rat gefolgt, aber jetzt frage ich mich manchmal, ob das richtig war.«
    »Überlaß das mir!« sagte Narzia schärfer als notwendig. Um ihre Lippen war plötzlich ein harter Zug, und auf ihrer Stirn stand wieder diese steile Falte, die sie von ihrer Mutter geerbt hatte. »Du weißt zu wenig über solche Dinge«, sagte sie dann etwas ruhiger. »Wenn ich dem Jungen nicht den Stein genommen hätte, wäre es mir nicht gelungen, ihn auf Dauer gefügig zu machen. Ich weiß genau, was ich tue, und überdies kann man nicht mehr zurück, wenn man sich einmal dafür entschieden hat, diese Art von Magie zu treiben.« Während sie das sagte, meinte er, in ihren grünen Augen einen Schatten von Angst zu erkennen, doch sie faßte sich sofort wieder und fügte hinzu: »Wenn er

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