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Stein und Flöte

Stein und Flöte

Titel: Stein und Flöte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Bemmann
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mir das aus Falkenor bringt, worum ich ihn gebeten habe, wird meine Macht über ihn und auch über andere nur um so größer sein, und es wird dann wohl keine Rolle mehr spielen, ob er nachts neben mir im Bett liegt.«
    Jetzt lächelte Höni und sagte: »So kann nur ein Mädchen reden, das noch nie mit einem Mann geschlafen hat. Jetzt hoffe ich um so mehr darauf, daß es zu dieser Heirat kommt. Es könnte sein, daß dich einer da einen Zauber lehrt, der sich als stärker erweist als deine Machtgelüste.«
    Während Höni behäbig in sich hineinlachte, wendete sich Narzia von ihm ab, um die fliegende Röte zu verbergen, die ihr bei seinen Worten in die Wangen gestiegen war. »Nein!« schrie sie. »Nein! Das wird nie geschehen!«
    Er war es inzwischen so gewöhnt, solchen Vorgängen als unsichtbarer Zeuge beizuwohnen, daß er erschrak, wie Narzia ihn jetzt geradewegs anschaute, und während er noch dachte, daß sie wohl nur zufällig in diese Richtung blickte, erkannte er plötzlich, daß sie ihn wirklich sah. Ihre Augen weiteten sich vor Entsetzen, und sie schrie leise auf. »Da!« flüsterte sie. »Da steht er! Nackt und haarig wie ein Tier!« Sie zitterte am ganzen Leibe.
    Höni fuhr herum und spähte nun auch herüber, doch für ihn war diese Erscheinung offenbar nicht bestimmt, denn er sagte: »Wer soll da stehen? Ich sehe nichts als den Schrank in der Ecke.«
    »Und doch ist er da«, sagte Narzia mit tonloser Stimme. »Grau wie ein Toter und starrt mich mit seinen steinernen Augen an.« Sie streckte die Hand auf jene Weise vor, mit der man böse Geister abwehrt, und schrie: »Geh! Ich habe dich nicht gerufen!« Da er jedoch selbst nicht wußte, wie er in diese Stube geraten war, konnte er dieser Forderung ebensowenig Folge leisten. Narzia schien jedenfalls das Bild dieser bocksbeinigen Gestalt noch immer zu sehen, denn sie schlug nun die Hände vor die Augen. Da nahm sie ihr Vater in die Arme, und im gleichen Augenblick verlöschte das Bild der Stube so unvermittelt, als würde eine Kerze ausgeblasen.

Er war so verwirrt, daß er sich für einen Augenblick nicht zurechtfand. Im Dunkeln waberte ein blasser Lichtschimmer. Dann erkannte er das zitternde Spiegelbild des Mondes auf dem bewegten Wasser des Quellteiches, hörte den Wind durch die Zweige des Ahorn streichen und wußte wieder, wo er war und daß er wohl auch die ganze Zeit über hier auf seinen steinernen Bocksfüßen gestanden hatte. Er war bestürzt, daß Narzia ihn gesehen hatte. Auch Urla hatte ihn gesehen, aber sie war weder erschrocken noch besonders erstaunt gewesen und war mit ihm umgegangen wie mit einem Gast, den man hereinbittet und bewirtet. Und schließlich hatte sie ihn in die Arme genommen. Narzia jedoch hatte beim Anblick des Bocksbeinigen, der er war, das blanke Entsetzen gepackt. Was hatte sie auf solche Weise erschreckt? Ob ihr in diesem Augenblick eine Ahnung davon gekommen war, worauf sie sich eingelassen hatte mit ihrer Art von Zauberei? Er hatte begriffen, daß mit dem Jungen, über den sie mit ihrem Vater gesprochen hatte, er selbst gemeint war, denn er hatte den Stein besessen. Aber ihm hatte offenbar auch noch eine Flöte gehört, von deren Klang eine merkwürdige Macht auszugehen schien, und auch dieser Macht bediente sich Narzia auf ihre gierige Weise. Das war wohl auch ein solches Zauberding, das man zum Guten wie zum Bösen gebrauchen konnte. Nach allem, was er zu hören bekommen hatte, war diese Flöte von ihm nicht auf die Weise gespielt worden, für die sie geschaffen worden war. Wie dieser Sanfte Flöter sie wohl gespielt hatte? Er wünschte sich, ihm zuzuhören, sich dem Klang seines Flötenspiels hinzugeben, und schon verwischte sich das schaukelnde Spiegelbild des Mondes, graue Dämmerung stieg über einem See auf, dessen Schilfgürtel sich unscharf im milchigen Morgennebel abzeichnete. Ein Landungssteg aus schmalen Brettern, die auf rohe Holzpfosten genagelt waren, führte ein Stück vom Ufer hinaus. An seinem Ende war ein Kahn angebunden und lag ruhig auf dem Wasser. Irgendwo im Dunst hörte man Enten quarren.
    Dann wurden sie durch gedämpfte Schritte aufgestört und flogen mit klatschenden Flügelschlägen davon. Von der ausgefransten Silhouette des Schilfgürtels löste sich ein Schatten, kam langsam näher und wurde als ein bärtiger Mann erkennbar, der einen schlaffen Ledersack auf dem Rücken trug. Er blieb am Ufer des Sees stehen und spähte hinaus auf die Wasserfläche, deren matte Spiegelungen ein Stück

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