Stein und Flöte
quatschend von dem feuchten Boden. Dann zeichnete sich seine Gestalt vage im Nebel ab, kam schlendernd näher, wurde deutlicher und blieb plötzlich stehen. Man konnte jetzt schon erkennen, daß dies ein junger Mann in schweren Fischerstiefeln war, der hier stand und schnüffelnd die Luft einsog. »Wer hat hier ein Feuer gemacht?« sagte er halblaut. Dann verlor seine Gestalt alle Lässigkeit. Mit wenigen Sprüngen stand er vor der Kochstelle mit dem dampfenden Topf und hatte wohl auch schon gerochen, was für eine Suppe da brodelte; denn er rief: »Dir werde ich’s zeigen, wie man meine Aale kocht!« und spähte nach allen Seiten nach dem Dieb. Doch der war nun sicher, daß er es nur mit einem einzelnen Mann zu tun hatte, kam mit langsamen Schritten heran und sagte eher beiläufig: »Dann zeig’s mir doch, du Grünschnabel! Guckst wohl noch bei deiner Mutter in den Topf?« Sein Messer hielt er dabei mit der Spitze nach vorn in der hohlen Hand.
Da riß auch der Fischer sein Messer aus dem Gürtel, und im nächsten Augenblick waren die beiden schon ineinander verkeilt und versuchten, einer dem andern das Messer in den Leib zu rennen. Der Junge schien zwar kräftiger zu sein als der Bärtige, aber dieser verstand geschickter mit seiner Waffe umzugehen. »Du hast wohl bisher auch nur Aale aufgeschlitzt!« knurrte er, während er einen ungeschickten Angriff des Jungen fast spielerisch mit dem linken Unterarm abwehrte. Der Junge trat einen Schritt zurück, stolperte über das Kochgestell und schlug der Länge nach ins Feuer, daß die Funken stiebten. Der Topf kippte um, und die heiße Suppe ergoß sich über die Beine des Gestürzten. Er schrie gellend auf und versuchte sich hochzurappeln, aber da war der Bärtige schon über ihm und sagte: »Bübchen hat sich wohl verbrannt? Warte nur, gleich wird dir nichts mehr wehtun!« Er stieß zu, und wenn der Junge sich nicht zur Seite geworfen hätte, wäre es um ihn geschehen gewesen. So traf die Klinge nur seine Schulter, und ehe der Bärtige sie zurückreißen konnte, hatte der Junge schon sein Handgelenk gepackt, und das Ringen begann von neuem.
Er hätte sich des Landstreichers wohl trotzdem nicht mehr lange erwehren können, doch sein Schrei hatte andere Fischer herbeigerufen, die in der Nähe beschäftigt waren. Unversehens tauchten sie von allen Seiten aus dem Nebel, rannten in ihren schweren Stiefeln herbei und rissen die Kampfhähne auseinander. »Warum prügelst du dich mit diesem Kerl, Bargasch?« fragte der eine.
Der Junge preßte die Hand auf die Schulterwunde, aus der ihm das Blut über den Leinenkittel rann, und sagte keuchend: »Er hat meine Reusen ausgeraubt, und als ich ihn zur Rede stellen wollte, ist er mit dem Messer auf mich losgegangen.«
»Das ist eine ernste Sache«, sagte der andere. »Wir bringen ihn vor Rulosch, und der soll Gericht über ihn halten.« Dann wendete er sich zu den Männern, die den Bärtigen festhielten, und sagte: »Bindet ihn, damit er nicht noch mehr Unheil anrichtet.«
Der Landstreicher wehrte sich fluchend und versuchte, die Männer abzuschütteln, aber sie zwangen ihm die Arme auf den Rücken und banden mit einem Strick seine Hände. Dann fand einer den Ledersack und rief: »Schau, Bargasch, da sind deine Aale!«
»Bis auf den, aus dem er sich eine Suppe kochen wollte«, sagte Bargasch wütend.
Der Landstreicher lachte höhnisch und sagte: »Gekocht hatte ich sie schon. Oder war sie dir noch nicht heiß genug?«
Da schlug ihm einer mit der flachen Hand auf den Mund und sagte: »Das Spotten wird dir schon bald noch vergehen, du Fischdieb und Mordbube!«
Der Nebel hatte sich inzwischen gelichtet. Man konnte jetzt schon weit hinaus auf den See blicken und das gegenüberliegende Ufer als verschwimmende graue Linie erkennen. Hinter den ziehenden Schwaden schien sich ein Waldgebirge zu verbergen, dessen dunkle Hänge nur hie und da im Dunst zu erahnen waren.
Die Fischer nahmen jetzt den Bärtigen in die Mitte und machten sich auf den Heimweg. Sie mußten ihn eher schleppen als führen, denn er wehrte sich noch immer, stemmte die Beine in den weichen Boden und versuchte sich loszureißen, aber gegen so viele Leute kam er nicht an. So bewegte sich die Gruppe langsam auf einem ausgetretenen Pfad ein Stück oberhalb des Schilfgürtels am Ufer entlang. Nach einer Weile tauchten zwischen Obstbäumen die riedgedeckten Dächer des Fischerdorfes auf. Ein paar Kinder, die wohl erkannt hatten, daß hier etwas Außergewöhnliches im
Weitere Kostenlose Bücher