Stein und Flöte
düsteren Vorraum ins Freie. Draußen standen in einiger Entfernung Frauen und auch ein paar Kinder zwischen den Häusern und starrten herüber. Als die Männer den Weg einschlugen, der vom See weg und ins Land hinein führte, schrie ein Junge mit überschlagender Stimme: »Sie bringen ihn ins Moor!« Dann standen alle nur noch stumm da und blickten dem kleinen Zug nach, der auf einem schmalen, offenbar wenig benutzten Pfad das Dorf verließ.
Rechts und links des Weges breiteten sich zunächst saure Wiesen aus, auf denen zwischen dem Gras Büschel von Binsen emporsprießten. Später war das Gelände von graugrünem Heidekraut überwuchert, zwischen dem ganze Flächen weiß getupft waren von den flaumigen Flocken des Wollgrases. Hie und da schillerte braun und ölig ein Moortümpel. Der Pfad war jetzt stellenweise mit quergelegten Knüppeln befestigt, zwischen denen glucksend das braune Moorwasser emporstieg, wenn die Fischer in ihren schweren Stiefeln darüber gingen.
Der Nebel hatte sich mittlerweile völlig verzogen, die Sonne stand schon hoch am blauen Himmel, und unter ihrer Wärme wurde der herbe Geruch der Moorkräuter spürbar. So gingen sie, bis das Dorf schon lange nicht mehr zu erkennen war. Nur der See lag noch hinter ihnen am Horizont als blaßblauer Streifen zwischen dem Moor und den dahinter aufsteigenden blaugrünen Wäldern. Dann blieb Rulosch unvermittelt stehen und sagte: »Hier!« Wenige Schritte neben dem Pfad spiegelte zwischen Binsen die fast kreisrunde Fläche eines Moortümpels. Sein trübes Wasser war fast schwarz, als ginge es hier in unermeßliche Tiefen hinab.
»Bindet ihm jetzt auch die Beine!« sagte Rulosch.
»Hast du Angst, daß ich euch doch noch davonlaufe?« sagte der Bärtige. Er sprach jetzt nicht mehr so laut und aufbrausend, sondern fast gelassen, als habe er alles schon hinter sich gebracht. Aber sein Gesicht war bleich, und in seinen Augen flackerte die Angst.
»Das ist wohl nicht zu befürchten«, sagte Rulosch. »Aber auf diese Weise geht es schneller.«
Während zwei der Fischer dem Bärtigen die Füße mit einem Strick zusammenbanden, blickte ein anderer zurück auf den Weg, den sie gekommen waren, und sagte: »Da kommt uns jemand nachgelaufen.«
Nun sah auch Rulosch in diese Richtung und beschattete die Augen mit der flachen Hand, um besser sehen zu können. »Dort kommt ein Mann, den ich nicht kenne«, sagte er nach einer Weile. »Er hat es offenbar eilig, uns einzuholen.«
»Wir sind so weit«, sagte einer der Männer, die dem Bärtigen die Beine gebunden hatten. »Sollen wir jetzt …?«
»Wartet!« sagte Rulosch. »Ich will erst erfahren, warum dieser Mann uns folgt.«
Nun blickten alle dem Mann entgegen, der mit raschen, fast tänzelnden Schritten durch das Moor heraneilte. Er war ziemlich klein und von zierlicher Gestalt, und als er so nahe war, daß man schon sein Gesicht erkennen konnte, winkte er ihnen mit der Hand zu, nicht etwa dringlich oder um sich wichtig zu machen, sondern fast fröhlich, so wie man einem Freund, dem man in der Fremde begegnet, schon von weitem zuwinkt. Er war ein bißchen außer Atem, als er die Gruppe der Männer erreichte und stehenblieb. Als erstes warf er einen Blick auf den Gefesselten und sagte: »Da bin ich ja noch zur rechten Zeit gekommen.«
»Was willst du damit sagen?« fragte Rulosch streng. »Das Urteil ist gefällt, und du wirst mich nicht zwingen, es rückgängig zu machen, was immer dir dieser Kerl auch bedeuten mag.«
Jetzt fing dieser sonderbare Kauz tatsächlich an zu lachen, daß der goldene Zwicker auf seiner Nase tanzte. »Zwingen?« rief er. »Du lieber Himmel, wie sollte ein Mann wie ich dich zu irgend etwas zwingen können? Sehe ich so aus?«
Er sah wahrhaftig nicht so aus, als ob er dergleichen je versucht hätte. Sein vergnügtes Gesicht mit den roten Apfelbäckchen strahlte eitel Wohlwollen aus, und seine Augen blickten ohne Arg wie die eines Kindes, obwohl er schon weiße Haare hatte. Als er jetzt die Mißbilligung in Ruloschs Miene entdeckte, wurde er ein bißchen ernster und sagte: »Entschuldige, daß ich gelacht habe. Ich weiß, daß ihr mit einer sehr ernsten Sache beschäftigt seid. Aber was dieser Kerl mir bedeutet, kann ich dir schon sagen: Er ist ein Mensch.«
»Das sind wir doch alle«, sagte Rulosch ein wenig ratlos.
»Eben«, sagte der fröhliche Mann, als sei damit alles erklärt.
Rulosch erkannte offenbar, daß er auf diese Weise nicht weiterkam. Er faßte den Fremden scharf ins
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