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Stein und Flöte

Stein und Flöte

Titel: Stein und Flöte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Bemmann
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Mann war wohl eher darauf aus gewesen, sich das Andenken Arnis zu nutze zu machen, aber es mußte schon etwas Bemerkenswertes an diesem Bruder Khan Hunlis gewesen sein, der ihn zu seinem Erben gemacht hatte, und es schien ihm auf einmal sehr wichtig, dem Geheimnis dieses Mannes auf die Spur zu kommen.
    Er blickte zwischen den Zweigen der Birken hinaus in das weite Wiesental, aber waren das noch die vertrauten Birken, deren Laub matt unter einer blassen Morgensonne schimmerte? Die Formen der Bäume und Büsche, die rechts und links einen schmalen Pfad begrenzten, erschienen ihm plötzlich anders als zuvor, und an dieser Stelle war eben noch kein Weg gewesen. Dann hörte er Hufschlag, und gleich darauf trabte, immer paarweise nebeneinander, eine kleine Schar von Beutereitern heran, Bogen und Pfeil schußbereit in den Händen. Auch sonst benahmen sich die Reiter sehr vorsichtig, hielten immer wieder an und spähten nach allen Seiten, eine Vorhut offenbar, die den Auftrag hatte, den Weg zu erkunden.
    Die letzten beiden Reiter bildeten ein merkwürdiges Paar: Der eine, ein magerer, alter Mann, dem die Zöpfe schon schlohweiß um die Schläfen baumelten, hockte mit hängenden Schultern auf seinem struppigen Pferd und trug als einziger keinen Bogen. Ein dünner, fädiger Bart hing um seine Lippen und spreizte sich auf eine komische Weise ab, wenn der Alte redete. Der andere, ein Junge von etwa zwölf Jahren, saß aufrecht im Sattel und schien so verwachsen mit seinem Pferd, als habe er das Reiten schon vor dem Laufen erlernt. Er redete eifrig auf den Alten ein und sagte gerade: »Ich verstehe nicht, Onkel Arni, warum du an diesem Beutezug teilnimmst. Mir hat mein Vater befohlen, mit der Horde zu reiten, und dem Willen Khan Hunlis kann ich mich nicht widersetzen, wenigstens jetzt noch nicht. Aber du kannst tun, was dir beliebt, und reiten, wohin du Lust hast, und doch hast du dich diesem Zug angeschlossen, obgleich es dir zuwider ist, Dörfer um der Beute willen zu überfallen und Leute anzugreifen, die dir nichts getan haben.«
    »Vielleicht solltest du nicht einmal jene Leute angreifen, die dich für einen Feind halten, den man bekämpfen muß«, sagte Arni.
    »Wozu soll das gut sein?« fragte der Junge. »Wenn du so handelst, wird dich jeder totschlagen, dem deine Zöpfe nicht gefallen.«
    »Weißt du das so genau?« fragte Arni. »Hast du es schon ausprobiert?«
    Der Junge lachte. »Du machst dich über mich lustig«, sagte er dann. »Der erste Versuch hätte mir wahrscheinlich schon das Leben gekostet.«
    »Du sagst wahrscheinlich«, antwortete Arni, »also weißt du es nicht genau. Ich habe das durchaus ernst gemeint. Wenn jeder jeden, den er für einen Feind hält, ohne viel Federlesens niederschlägt, wird er nie erfahren, ob er wirklich ein Feind war oder vielleicht nur Angst hatte oder eine falsche Vorstellung von dem Menschen, der ihm begegnet ist.«
    Der Junge dachte eine Weile nach und sagte dann: »Ich weiß nicht, ob ich den Mut hätte, das zu versuchen.«
    Der Alte nickte. »Du hast die Schwierigkeit genau erkannt«, sagte er. »Solange keiner den Mut findet, diesen Versuch zu wagen, wird das Totschlagen unter den Menschen nicht aufhören.«
    »Wenn du so denkst«, sagte der Junge, »dann begreife ich überhaupt nicht mehr, warum du mitgeritten bist.«
    »Das ist doch ganz einfach zu verstehen, Belarni«, sagte Arni. »Hätte ich diesen Beutezug verhindern können, wenn ich zu Hause geblieben wäre?«
    »Nein«, sagte Belarni. »Mein Vater hat diesen Zug beschlossen, und nicht einmal du hättest ihn davon abhalten können.«
    »Siehst du«, sagte Arni. »Was soll man also tun, wenn man nicht verhindern kann, daß etwas geschieht, das einem nicht gefällt? Zu Hause bleiben und so tun, als ginge einen das alles nichts an? Wem soll denn das nützen?«
    »Wem nützt es denn, wenn du mitreitest?« fragte der Junge.
    »Das kann man vorher nie wissen«, sagte Arni.
    »Willst du verhindern, daß die Horde ein Dorf überfällt?« fragte der Junge.
    Arni schüttelte den Kopf. »Darum geht es nicht«, sagte er. »Es geht immer nur um den einzelnen Menschen, und deshalb kann man nie voraussehen, was von einem verlangt wird. Ich wäre wohl auf jeden Fall mitgeritten, aber als ich hörte, daß Hunli dich zum ersten Mal mit auf die Jagd schickt, war das allein schon Grund genug.«
    Der Junge blickte ihn unwillig an. »Hast du gedacht«, sagte er, »ich würde mich ohne dich fürchten oder man könnte mich nicht ohne

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