Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Stein und Flöte

Stein und Flöte

Titel: Stein und Flöte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Bemmann
Vom Netzwerk:
bebende Laub von Birken und Erlen. Ehe er sich noch ganz zurechtgefunden hatte, sang das Mädchen schon die zweite Strophe des Liedes:
    Steht einer im Moos,
    weiß nicht wo.
    Steht einer im Moos
    und regt sich nicht
    mit starrem Gesicht
    und zottigem Schoß,
    ist nicht traurig, nicht froh,
    weiß nicht wo.
    Die Stimme klang jetzt viel näher als damals, als er sie schon einmal gehört hatte, so als verberge sich die Sängerin gleich hinter den nächsten Erlenbüschen, und mit jeder Zeile des Liedes schien sie noch näher zu kommen. Ihm war, als durchbrächen die herüberschwingenden Töne die steinerne Haut seines Körpers und drängen ein in seine felsige Brust, um sein Herz zu erreichen, das dort irgendwo stumm und reglos wie ein schwerer Kiesel ruhte. Er gab sich dem Klang dieser Stimme hin und wünschte nichts anderes, als daß dieses süße Beben der Luft die Versteinerung seines Herzens löse und es zum Schlagen bringe; denn er erinnerte sich jetzt, daß es solche Empfindungen gab, die einem auf diese Weise ans Herz griffen. Doch das blieb nur Vorstellung von Gewesenem und Vergangenem und trat nicht ein. Wenn ich diese Sängerin doch sehen könnte! dachte er und warf alle Kraft seines Willens der Stimme entgegen, um die grünflimmernde Wand von Laub zu durchdringen, doch die Sängerin blieb verborgen, niemand trat zwischen den Büschen hervor, und das Lied war längst verklungen.
    Eine Weile hörte er nichts weiter als das Rauschen des Windes in den Blättern und sah zu, wie die Luftbläschen im Teich zu seinen Füßen aufstiegen. Irgendwo bei den Wurzeln des Ahorn fiepten die Mäuse, und er konnte verstehen, wie eine sagte: »Hast du dieses Lied gehört? Es paßt auf den Bocksfüßigen, als sei er gemeint. Ob das Mädchen ihn sucht?«
    »Wenn schon!« sagte die andere Maus. »Was geht’s uns an? Es würde dem Mädchen auch nicht viel nützen, wenn es diesen steinernen Klotz hier an der Quelle stehen sehen würde. Auch das könnte ihn nicht zum Leben erwecken. Oder hast du schon einmal gesehen, daß ein Stein sich plötzlich regt und auf eigenen Füßen davongeht?« Die das gesagt hatte, mußte die fette Maus sein; ihre satte, selbstgefällige Redeweise war unverkennbar.
    Die andere gab sich nicht zufrieden und sagte: »Glaubst du denn, es gäbe nichts anderes, als was du schon einmal gesehen hast? Wenn schon Lieder von diesem versteinerten Bocksfüßigen gesungen werden, dann ist er noch nicht vergessen und verloren, und wenn ihn dieses Mädchen gar sucht, dann sollte man ihm sagen, wo er zu finden ist.«
    Die Dicke kicherte fettig und sagte: »Mädchen und Mäuse! Die Sängerin wird ihr Röcke zusammenraffen und schreiend davonrennen, wenn sie dich sieht!«
    Doch die andere ließ sich nicht entmutigen. »Das käme auf einen Versuch an«, sagte sie, huschte durch das wippende Waldgras davon und verschwand zwischen den Erlenbüschen.
    »Der will sich auch nur wichtig machen«, fiepte die Dicke mürrisch, und dann hörte man, wie sie an etwas herumnagte.
    Eine Zeitlang geschah nichts. Dann kam die Maus zurückgeflitzt und schrie schon von weitem: »Ich habe das Mädchen gesehen!«
    »Auch schon was!« sagte die Dicke. »Hat sie dir wenigstens zugehört?«
    »Nein«, gab die andere zu. »Sie ging schon über die Wiesen davon, und ich konnte sie nicht mehr erreichen, weil sie auf ihr Pferd stieg und talabwärts ritt.«
    »Was ist daran so besonderes, daß du so aufgeregt dahergerannt kommst?« fragte die Dicke.
    »Ihre Augen!« rief die andere. »Ich habe ihre Augen gesehen, als sie sich einmal umdrehte. Sie haben die gleichen merkwürdigen Farben wie der Stein, der dem Bocksfüßigen gehört.«
    »Davon kann er auch nichts abbeißen«, sagte die Dicke. »Was nützt ihm denn jetzt sein Stein, wo er selber hier als ein ungeheurer Felsbrocken in der Gegend steht?«
    »Du wirst schon sehen«, sagte die andere Maus. »Eines Tages …«, doch die Dicke unterbrach sie und sagte: »Du mit deinen fabelhaften Geschichten von geheimnisvollen Steinen und solchem Zeug. Das hast du dir doch nur ausgedacht.«
    Er hatte dem Gespräch der beiden Mäuse zugehört und dachte nun darüber nach, was ihm dieser Stein tatsächlich nütze. Er hatte ihn besessen, soviel war sicher. Und vorher hatte ihn dieser Arni bei sich getragen, der eine solch merkwürdige Rolle bei den Beutereitern gespielt hatte. Ob der Stein daran schuld war, daß er sich so sonderbar benommen hatte? Belenika hatte Arni gern gehabt und viel von ihm gehalten. Ihr

Weitere Kostenlose Bücher