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Stein und Flöte

Stein und Flöte

Titel: Stein und Flöte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Bemmann
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du gehst?«
    »Gern, wenn du mir meine Flöte gibst«, sagte Lauscher. »Aber ich rate dir, diesen Jungen namens Schneefink darum zu bitten. Er ist ein Flöter, der seinesgleichen sucht.«
    »Wenn du das behauptest, dann will ich es glauben«, sagte Laianna. »Spiel also du mir etwas vor, Schneefink!« Sie schwamm heran und legte die Flöte ans Ufer.
    Schneefink blickte Lauscher fragend an, doch der sagte: »Wenn dich Laianna darum bittet, dann wäre es sehr unhöflich, ihren Wunsch nicht zu erfüllen.«
    Da hob Schneefink die Flöte auf und fing an zu spielen. Es war ein Lied, das mit einer sprühenden Kaskade von Tönen begann, die wie die Tropfen eines Wasserfalls über den See dahinperlten, und dann erzählte Schneefink auf seine Weise, wie Narzia von ihrem bösen Zauber befreit worden war und danach der kleinen Urla die Zunge gelöst hatte. Und in diesem Lied war all das enthalten, was Schneefink am Abend in der Stube zu Belarni gesagt hatte; denn immer wieder zeigte sich, wie eine Reihe von scheinbar zufällig hingeworfenen Tönen unvermutet zur Grundlage einer neuen, fast vollkommenen Melodie wurden, deren Schönheit gerade darin bestand, daß man ihren Sinn erst dann zu begreifen begann, wenn das Ganze sich zur Einheit zusammenschloß. Und auch das Wasser gehörte zu dieser Welt, die Schneefink aus Tönen aufbaute, denn dieses Perlen und Sprühen blieb in seiner Musik ständig zugegen.
    So spielte Schneefink vor Laianna, und als er die Flöte absetzte, sagte sie: »Dieses Lied werde ich nie vergessen, Schneefink, denn du hast mir gezeigt, daß meine eigene Welt wie ein rauschender Bach jene Welt durchströmt, in der ihr lebt, und daß beide zusammengehören. Ich bin so vergnügt wie seit langem nicht mehr!« Sie sprang wie ein herrlicher schlanker Fisch hoch aus dem Wasser, daß ihre grünblonden Haare wie eine Fahne um ihren Kopf flogen, ließ sich mit einem gewaltigen Platschen zurück in ihr Element fallen und tauchte hinab in die Tiefe.
    Die beiden am Ufer wischten sich das Wasser aus dem Gesicht und lachten über diesen nassen Abschied. Schneefink rieb mit dem Hemdärmel die Tropfen von der silbernen Flöte und wollte sie Lauscher geben, doch der schüttelte den Kopf. »Behalte sie«, sagte er. »Ich habe lange genug auf ihr gespielt, doch wie ich sie hätte spielen sollen, habe ich erst von dir gelernt. Du wirst sie besser spielen als ich. Und vergiß nie den Spruch, der auf ihrem Ende eingeritzt ist:
    Lausche dem Klang,
    folge dem Ton,
    doch übst du Zwang,
    bringt mein Gesang
    dir bösen Lohn.«
    Und er fügte hinzu, was sonst noch bei der Übergabe der Flöte gesagt werden mußte.
    In dieser Nacht schliefen sie noch unter der Weide am See, und das Rauschen des Wasserfalls drang bis in ihre Träume, für Schneefink wohl schon wie eine Vorausahnung der gewaltigen Strömung des Braunen Flusses, an dessen Ufer er immer weiter stromabwärts reiten wollte, und für Lauscher als das aus dem vielfältigen Zusammenklang unzähliger Tropfen gemischte Rauschen der Zeit, die immer rascher an ihm vorbeizugleiten schien. Am nächsten Morgen ritt Schneefink weiter hinab durch die Wälder, während Lauscher sich auf den Rückweg ins Flachtal machte.

3. Kapitel
    I
    Mit der Zeit wurde Lauschers Leben wie ein abgebrauchtes, verwaschenes Hemd. Nur sein Gehör hatte sich seit dem Tage, an dem er seine Flöte hergeschenkt hatte, auf eine für ihn selbst erstaunliche Weise geschärft. Ihm schien jetzt fast, als habe ihn dieses Instrument, das ihm allzu früh in die Hand gelegt worden war, daran gehindert, das Zuhören so zu lernen, wie es seinem Namen entsprochen hätte, und das selbst während jener Zeit, in der er ohne diese Flöte hatte leben müssen; denn da hatten sich seine Vorstellungen und Wünsche nur um so stärker auf diesen silbernen Klang gerichtet, der ihm abhanden gekommen war.
    Jetzt, als er allein durch die Wälder nördlich von Barleboog ins Gebirge hinaufritt, in dem Gisa nach Edelsteinen hatte graben lassen, war die Luft um ihn erfüllt von tausenderlei Geräuschen, denen er lauschte wie einer Geschichte, von der er weder den Beginn kannte noch das Ende je hören würde, sondern nur dieses Stück, das entlang seines Weges erzählt wurde. Da rauschte unterhalb des Weges der steil hinabschießende Sturzbach, dessen Gischt über die rundgeschliffenen Felsblöcke sprang, und über diesem Rauschen meinte Lauscher das feine Klingen der Saphire und Rubine zu hören, die das Wasser mit sich trug, um sie

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