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Stein und Flöte

Stein und Flöte

Titel: Stein und Flöte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Bemmann
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hervor, und auch der geschichtete, fast holzartige Aufbau des Muttergesteins selbst wurde durch die eingeschlossenen Kristalle erst richtig bemerkbar; was ihn reizte, war diese Verbindung, die das Besondere mit dem Gewöhnlichen eingegangen war. Er schaute sich dieses wundersame Gefüge noch eine Weile an und fragte sich, ob noch mehr dergleichen in der Tiefe des Stollens zu finden sein würde.
    Da er es nicht eilig hatte, ging er ein paar Schritte in den Stollen hinein, und als er im Halbdunkel über ein paar Holzprügel stolperte, entdeckte er, daß hier noch ein ganzer Stapel von Kienspänen lag, in deren Licht die Bergleute den Fels nach Edelsteinen abgesucht haben mochten. Sie hatten wohl alles stehen und liegen lassen, als damals Barlos Botschaft zu ihnen gebracht worden war, und waren nie wieder an den Ort ihrer Zwangsarbeit zurückgekehrt. Lauscher zündete einen der langen, harzduftenden Späne an, steckte auch noch ein paar weitere in den Gürtel und drang tiefer in den Stollen ein.
    Die Bergleute hatten sich entlang einer Verwerfung vorgearbeitet, in deren Klüften noch die Spuren ihrer Meißel und Spitzhämmer zu sehen waren. Hier hatten sie offenbar zwischen einem griesigen, weicheren Gestein die Kristalle herausgeschlagen. An manchen Stellen blitzten noch Reste von ihnen im flackernden Licht der Fackel auf, doch zu finden war hier kaum noch etwas Nennenswertes.
    Nach einer Biegung, die den letzten Schimmer von Tageslicht abschnitt, weitete sich der Stollen zu einem höhlenartigen Raum, den die Männer kaum in dieser Größe aus dem Felsen herausgehauen haben konnten. Viel eher waren sie an dieser Stelle auf eine natürliche Höhle gestoßen, auf deren Wänden überall noch die Reste von Kristalldrusen glitzerten, und als Lauscher weiterging bis zur anderen Seite, wo sich dieser Raum wieder zu verengen begann, entdeckte er, daß die Bergleute hier von Barlos Nachricht überrascht worden sein mußten; denn in diesem rückwärtigen Teil schimmerten noch ganze Rasen von unbeschädigten Kristallen an den Wänden: Gelbe Nadeln von Zitrin spießten da aus dem Fels, dunkelviolette Pyramiden von Amethysten standen in einer Höhlung dicht beieinander, und noch weiter in der Tiefe, wo der Gang in eine schmale Kluft überging, glühten ihm die gleichen weinroten Granate entgegen, die ihn in diesen Stollen gelockt hatten.
    Seit Gisa vertrieben worden war, hatte wohl keiner im Tal die Lust verspürt, hierher zurückzukommen, um etwas von diesen Kostbarkeiten für sich aus dem Gestein zu brechen. Die Erinnerung an das Unheil, das Gisas Gier nach solchen Glitzerdingen über Barleboog gebracht hatte, war noch zu stark. Auch Lauscher spürte kein Verlangen, die Zerstörung noch weiter in diese verborgene Schatzkammer zu tragen, sondern freute sich nur an der Schönheit dieser Gebilde, dem geheimnisvollen Glanz ihrer Farben und der ebenmäßigen Form der Kristalle.
    Als er seinen Blick über die so prächtig verzierten Felswände gleiten ließ, lockte ihn ein schwacher Schimmer von schwer zu beschreibender Farbe noch tiefer in die Kluft. Er hob seine Fackel und zwängte sich durch eine kaum noch gangbare Spalte in einen engen Raum, in dem man gerade noch aufrecht stehen konnte, und da leuchtete vor ihm ein Gebilde auf, das Arnis Stein zum Verwechseln ähnlich sah. Eingebettet in eine Schale von streifigem graurötlichen Achat ruhte in der Wand dieses Auge, aus dessen durchscheinendem Inneren sich die farbigen Ringe lösten, blau, grün und violett, und im Schein der Fackel ihr geheimnisvolles Leben entfalteten. Es war kaum zu begreifen, daß so etwas Lebendiges verborgen im Dunkel des Gebirges irgendwann vor Urzeiten gewachsen sein sollte, aber es war da und wärmte sein Herz mit seinem Schimmer. Und während er hineinblickte in dieses Auge, tauchten auch die Gesichter auf, die ihn aus solchen Augen angeschaut hatten, das der uralten Urla, jene ihrer Enkelinnen Rikka und Akka, das Gesicht Arnilukkas und auch jenes ihrer Tochter Urla, die schon längst eine erwachsene Frau war und neben drei Söhnen vor kurzem auch noch eine Tochter geboren hatte. Doch es war schließlich das Gesicht Arnilukkas, das vor allen anderen bestehen blieb und ihm von weither etwas zuzurufen schien. »Komm zurück, Lauscher!« meinte er zu verstehen. »Komm zurück, wir brauchen dich!«
    Er wußte nicht, wie lange er so in dieser engen Kluft gestanden hatte, als die Flamme seines Kienspans so weit heruntergebrannt war, daß sie ihm die Hand

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