Stein und Flöte
hatte es offensichtlich bedauert, daß dieser Vorschlag auf Ablehnung stieß. Zum Abschied hatte er Barlo eine seiner selbstgedrechselten Flöten geschenkt, dann hatte der Richter ihn doch noch umarmt und war über den Wiesenhang hinab zum Schloß zurückgeritten, und selbst von hinten hatte man erkennen können, daß hier ein bedeutender Mann unterwegs war, der trotz seiner weißen Haare noch immer hoch aufgerichtet im Sattel saß.
Das also war seine Begegnung mit Barlo gewesen. Wenn er überhaupt etwas im Tal von Barleboog gesucht haben sollte, gefunden hatte er nichts als die Erkenntnis, daß er hier in dieser ordentlichen Welt, in der alles seinen rechten Platz hatte, nicht hätte leben wollen. Er war noch ein paar Tage bei Bragar geblieben, um sich ein wenig auszuruhen, hatte neben dem Alten auf der Hausbank gesessen, ein bißchen auf seiner Flöte geblasen und sich zwischendurch die Geschichten angehört, die der Bauer von den fabelhaften Rechtssprüchen Barlos zu erzählen wußte. Dann hatte er seine Sachen gepackt und war wieder talaufwärts auf die Berge zugeritten, wohlversorgt mit allerlei kräftiger Verpflegung, die ihm Bragars Schwiegertochter aufgenötigt hatte.
»Kannst du mir sagen, Blondschopf, warum wir diesen beschwerlichen Ritt über die Berge unternommen haben?« fragte er sein Pferd.
»Um einen würdigen Richter zu sehen, der im Sattel sitzt wie ein Denkmal seiner selbst«, sagte das Pferd, und dann fingen beide an, so gewaltig zu lachen, daß Blondschopf stehenbleiben mußte, weil ihm der Atem ausging; denn auch er war nicht mehr der jüngste. Sie wieherten und lachten, daß es von den Felswänden widerhallte, und dieses Lachen vertrieb den letzten Rest jener Bedrücktheit, die ihn während seines Aufenthaltes in Bragars Hof mehr und mehr befallen hatte. Angesichts der Tätigkeit dieser Leute dort war er sich auf eine sonderbare Weise nutzlos vorgekommen. Ach Barlo, dachte er jetzt, als er sich endlich ausgelacht hatte, aus dir ist ja ein unerhört imposanter Mann geworden, aber ich bin nun doch zu alt, um mich noch immer wie dein Junge zu benehmen. Hier oben in der frischen Bergluft fühlte er sich wieder frei und begann sich auf den Ritt übers Gebirge zu freuen.
Der Weg lief jetzt ein Stück oberhalb des herabrauschenden Gießbaches an der Berglehne entlang. Die Fichten standen hier schon lockerer und trugen fransige graue Flechtenbärte, aber sie spendeten noch genug Schatten, um ihn vor der Beängstigung durch den offenen Himmel zu bewahren. Auf den Grasflecken zwischen den Bäumen blühten goldgelbe Arnika und haarige blaßblaue Glockenblumen, und der Duft von Salbei und wildem Thymian wehte herüber. Dann schob sich eine Felswand heran, an deren Fuß der steinige Pfad zwischen Buschwerk weiterführte. Unterhalb des Weges zog sich hier eine schon wieder von Gras und Bergblumen überwucherte Schotterhalde bis zum Bach hinunter, und hinter der nächsten Biegung konnte Lauscher sehen, wo sie ihren Ursprung hatte: In der Felswand gähnte der Eingang zu einem Stollen, den man hier in den Berg getrieben hatte.
Da es ohnehin an der Zeit war, eine Ruhepause einzulegen, stieg Lauscher vom Pferd. »Hier findest du genug würzige Kräuter zum Knabbern, Blondschopf«, sagte er, setzte sich unter eine Wetterfichte am Wegrand und schaute nach, was ihm Bragars Schwiegertochter an nahrhaften Dingen eingepackt hatte. Er aß mit gutem Appetit und kletterte danach das kleine Stück über die Halde hinab zum Bach, um zu trinken. Als er sich dort niederbeugte, um mit der hohlen Hand das über blankes Geröll herabschießende Wasser aufzufangen, sah er im Bachbett ein Stück Stein liegen, auf dessen Oberfläche rote Kristalle funkelten. Er hob den Brocken aus dem Wasser und betrachtete ihn genauer. In dem silbrig-grauen, schiefrigen Gestein saßen wie Rosinen, die man in einen zähen Kuchenteig hineingeknetet hat, ein paar nußgroße weinrote Granatkristalle, deren Kanten durch das Bachgeröll schon etwas abgestoßen waren. Hier hatten also jene Bergleute gearbeitet, die für Gisas Schatzkammern Edelsteine fördern mußten. Als Lauscher langsam wieder zum Weg hinaufstieg, nahm er den Fund mit, nicht weil es ihm um die Kostbarkeit der Granate zu tun gewesen wäre, sondern weil es ihm gefiel, wie die durchscheinenden Kristalle aus dem grauen Glimmerschiefer heraustraten. Für sich allein genommen hätten sie vor den Augen eines Steinsuchers kaum Gnade gefunden, aber ihr Untergrund hob ihre Schönheit
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