Stein und Flöte
ist.
Als er sich jetzt auf dem Heimweg wieder daran erinnerte, wurde ihm bewußt, daß er sich sogleich wieder als Barlos Junge gefühlt hatte. Dies mochte seinen Grund auch darin haben, daß ihn der Richter noch immer um Haupteslänge überragte, aber es war wohl nicht nur der Unterschied der Körpergröße gewesen, der ihn wieder in die Stellung eines Untergebenen versetzt hatte. Und dieses Gefühl hatte sich im Verlauf dieses Vormittags eher noch verstärkt. »Erzähl mir, wie es dir ergangen ist!« hatte Barlo mit seiner Flöte gesagt und ihn, als sei er selbst der Hausherr, mit einer Geste aufgefordert, neben ihm am Tisch Platz zu nehmen, während Bragar schon mit einem Krug Birnenmost aus dem Keller kam und einschenkte. Der Bauer hatte sich auch erst dann zu ihnen gesetzt, als Barlo ihn dazu aufgefordert hatte.
Zu erzählen hatte er wahrhaftig genug gehabt, ohne daß er darüber lange hätte nachdenken brauchen, und während er nun von Arnis Leuten berichtete, von seinem Ritt nach Falkenor und von der Zeit, die er als bocksfüßiger Waldgänger oder in der Gefangenschaft der Blutaxtleute verbracht hatte, hatte sich Barlo eines gelegentlichen Kopfschüttelns nicht erwehren können, und auch, wenn er zwischendurch eine Frage gestellt hatte, war aus dem Ton seiner Flöte ein gewisses Befremden herauszuhören gewesen. All das, was ihm hier zu Ohren kam, schien sich nicht recht mit der wohlgefügten Ordnung seiner richterlichen Weltsicht vereinbaren zu lassen, und als er schließlich mit einem fast schon klagenden Flötenruf gesagt hatte: »Welch ein Leben! Bist du denn nirgends je richtig zu Hause gewesen?«, klang das schon geradezu wie ein Vorwurf, so als habe dieser Herumtreiber absichtlich versäumt, etwas mehr Stetigkeit in sein unordentliches Leben zu bringen. War das noch der Barlo, mit dem er damals drei Jahre lang durch die Lande geritten war und alle möglichen Abenteuer erlebt hatte? Während er darüber nachdachte, schien ihm, als habe Barlo schon damals diese Fahrt eher widerwillig angetreten; von Anfang an hatte er genau gewußt, wo sein Ziel lag, und alles andere war für ihn nicht viel mehr als ein lästiger Umweg gewesen. Wenn er sich diese Zeit in Erinnerung rief, war für ihn jedoch gerade dieser Weg mit all seinen Begegnungen das Entscheidende gewesen, so ungern er ihn zunächst angetreten hatte; ja er hatte es am Ende fast bedauert, als sie am Ziel angekommen waren und Barlo sein Richteramt auf Barleboog übernehmen konnte. Das mochte allerdings auch daran gelegen haben, daß Barlos Ziel nicht zugleich auch sein eigenes gewesen war, und wenn er es jetzt recht bedachte, dann war er selbst immer nur vorläufigen, wenn nicht gar fragwürdigen Zielen nachgelaufen und hatte es dabei nicht einmal dahin gebracht, irgendwo richtig zu Hause zu sein, jedenfalls nicht in dem Sinne, wie Barlo das verstehen mochte. Das hatte sich auch gleich herausgestellt; denn als er die alte Holzfällerhütte im Flachtal beschrieb, in der seine Drechselbank stand, zu der er vor allem im Winter immer wieder zurückkehrte, war er sich unter Barlos mitleidigem Blick schon fast selber wie ein ruheloser Landfahrer vorgekommen, der irgendwo unterkriecht, wenn die Wege in Schnee und Eis ungangbar geworden sind.
»Damals hattest du noch Arnis Stein, und später hast du auch noch die silberne Flöte deines Großvaters besessen«, hatte Barlo gesagt. »Hat dir das nicht geholfen, ein festes Ziel zu finden?«
Was hätte er darauf antworten sollen? Es war ihm schwergefallen, Barlo eine einleuchtende Erklärung dafür zu geben, daß er beides hergeschenkt hatte, und diese Mitteilung schien Barlo geradezu in Ratlosigkeit gestürzt zu haben. Er hatte den Eindruck eines Mannes gemacht, der sich mit allen Kräften dagegen wehrt, ein solches Verhalten zu begreifen, weil er damit die Grundlage seiner eigenen Lebensanschauung in Frage gestellt hätte.
»Hast du denn ganz vergessen, Barlo«, hatte er nach einiger Zeit gefragt, »mit welchen Spaßvögeln wir dein Schloß zurückgewonnen haben?« Doch selbst damit war es ihm nicht gelungen, die steife Würde des Gerichtsherrn zu durchbrechen. »Mein Amt läßt mir nicht viel Zeit zum Scherzen«, hatte er geantwortet, und als er ihm gleich darauf angeboten hatte, hier bei ihm in Barleboog zu bleiben, klang das wie ein Versuch, das Leben eines Menschen, der ihm früher einmal als Diener anvertraut gewesen war, zu guter Letzt doch noch in eine gesicherte Ordnung einzubringen; und der Richter
Weitere Kostenlose Bücher