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Stein und Flöte

Stein und Flöte

Titel: Stein und Flöte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Bemmann
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sich ihre Gastfreundschaft erbat und daß er schließlich sein Leben hingab, um Belarni vor dem Tod zu bewahren. All das hat sich mit diesem Stein verbunden, und darin liegt seine Bedeutung. Hast du geglaubt, dies sei so ein Zauberding, das seine Kraft ohne Zutun der Menschen wirken läßt? Das wäre nichts als Hexenkram. Das Geheimnis des Steins aber liegt in all den Geschichten, die man um ihn erzählt.«
    »Aber er hat mich doch gerufen, als ich vorhin allein in der Kluft vor ihm stand«, sagte Lauscher.
    »Natürlich hat er das«, sagte der Alte, »aber das geschah in der Weise, daß er dir die Menschen in Erinnerung gerufen hat, die dich brauchen. Du warst wohl schon auf dem Wege zu meinen, daß ein alter Flötendrechsler wie du von keinem mehr benötigt wird.«
    »Dann will ich mich jetzt beeilen, daß ich nach Arziak komme«, sagte Lauscher. »Kannst du mich noch ein Stück begleiten?«
    »Diesmal noch nicht«, sagte der Alte. »Ich will hinunter nach Barleboog gehen, um einen alten Mann zu besuchen, dem man Zeit seines Lebens kaum Gelegenheit gegeben hat zu vergessen, daß er gebraucht wird.« Der Alte winkte ihm zu und machte sich auf den Weg. Lauscher rief nach seinem Pferd, und als er sich noch einmal umblickte, konnte er den Steinsucher nirgends mehr entdecken.
    »Beeil dich ein bißchen, Blondschopf!« sagte er, als er aufgestiegen war. »Wir werden gebraucht!« Und dieser Gedanke schien ihn und auch sein Pferd unversehens um Jahre jünger zu machen; denn er staunte über sich selbst, wie leicht ihm dieser Ritt über die Berge fiel, der ihm auf dem Hinweg so beschwerlich vorgekommen war.
    Im Flachtal hielt er sich gar nicht erst lange auf, schlief nur die eine Nacht in seiner Hütte und ritt gleich am nächsten Morgen über den Schauerwald hinunter nach Arziak. Er hatte sich schon früher für seine seltenen Besuche bei Arnilukka einen Weg gesucht, der so lange wie möglich im Wald verlief, aber das letzte Stück über einen Wiesenhang hinunter zu den Häusern bereitete ihm doch wieder beträchtliches Unbehagen, und er trieb Blondschopf zu einer rascheren Gangart an, ließ ihn schnell durch die Gassen bis vor das Haus der Erzmeisterin traben und beeilte sich, unter Dach zu kommen. So war er etwas atemlos, als er in die Stube trat, in der er Arnilukka und Belarni antraf.
    Arnilukka sprang auf, sobald sie ihn erkannte, lief ihm entgegen und sagte: »Gut, daß du gekommen bist, Lauscher! Ich wußte gar nicht, daß du von deiner Reise zurückgekehrt bist, sonst hätte ich dir eine Nachricht geschickt.«
    »Deine Nachricht habe ich schon bekommen«, sagte Lauscher, »aber da war ich noch jenseits des Gebirges.«
    Auch Belarni war inzwischen hinter dem Tisch hervorgekommen. »Es erstaunt mich immer aufs neue«, sagte er, »wie ihr euch verständigt. Seit Tagen haben wir uns nichts sehnlicher gewünscht, als daß du zurückkommst. Und jetzt bist du da.«
    »Und siehst aus, als seist du die ganze Strecke gerannt«, fügte Arnilukka hinzu. »Setz dich zu uns und iß erst einmal etwas! Reden können wir später.«
    Sie war trotz ihrer schneeweißen Haare noch immer rüstig, drückte ihn resolut in einen bequemen Sessel, lief hinaus und trug nach kurzer Zeit alle möglichen guten Dinge auf, Rauchschinken, Käse, einen Topf mit Honig und dazu knuspriges frisches Brot und einen Krug Wein. »Sei unser Gast, Lauscher!« sagte sie, als sie alles bereitgestellt hatte, schenkte die Becher voll und setzte sich zu ihnen.
    Während der Mahlzeit mußte Lauscher Arnilukka immer wieder ansehen. Ihr Gesicht wurde jenem ihrer Ahnin Urla immer ähnlicher und erschien ihm schöner denn je. Merkwürdig, dachte er, wie wenig das Alter einem Gesicht anhaben kann, das man liebt, und wenn Arnilukka ihn ansprach und ihre Augen sich trafen, schlug sein Herz schneller.
    Belarni hatte wenig gegessen und trank jetzt nur noch ab und zu einen Schluck Wein. Sein hageres Gesicht ließ zwischen den strähnigen weißen Schläfenzöpfen fast schon das Schädelgerüst unter der braunen, faltigen Haut erkennen. Seine Sorgen waren ja auch nicht geringer geworden, sondern hatten sich nur vermehrt; denn die Parteien der Goldschmiede und der Steppenreiter, die sich von Anfang an von der Verbrüderung der beiden Völker ausgeschlossen hatten, waren in den vergangenen Jahren keineswegs in der Gemeinschaft aufgegangen, sondern hatten ihre Haltung eher noch versteift, so daß es schon zwischen ihnen zu Zusammenstößen auf offener Straße gekommen war.

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