Stein und Flöte
Lauscher war nur selten nach Arziak geritten, aber die Pferdeknechte und ihr Meister Ruzzo wußten genug davon zu erzählen. Was damals mit den jungen Söhnen der Steppenreiter wie ein Spiel begonnen hatte, war längst zu einer ernsten Angelegenheit geworden. Inzwischen war dies eine Gruppe von etwa Vierzigjährigen, die zusammen mit jüngeren Verwandten aus ihren Familien einen Reiterbund gebildet hatten, dessen Mitglieder oft mit ihren Pferden verschwanden, um dann eines Tages wieder aufzutauchen, ohne daß zu erfahren war, wo sie sich herumgetrieben hatten, doch wenn dann reisende Kaufleute von Überfällen auf Dörfer in weit entlegenen Tälern berichteten, konnte man sich schon einiges zusammenreimen. Diese Sorgen Belarnis waren Lauscher nicht neu, doch gerade deshalb konnte dies nicht der Anlaß sein, aus dem man seine Anwesenheit in Arziak hätte wünschen können. Was soll ein alter Mann wie ich bei solchen Sachen nützen? dachte er und zeigte mit einer Geste, daß er satt sei. Nun wollte er endlich hören, worum es ging.
Belarni hatte offenbar schon auf diesen Augenblick gewartet, denn er sagte jetzt: »Du willst sicher erfahren, warum wir deine Rückkehr so herbeigesehnt haben, Lauscher.«
»Machst du dir wieder einmal Sorgen wegen dieser Streitereien zwischen den Goldschmiedesippen und dieser Reiterhorde?« sagte Lauscher. »Ich wüßte nicht, wie ich dir in dieser Sache nützlich sein könnte.«
»Das ist es nicht allein«, sagte Belarni. »Du weißt ja, daß Azzo sich schon seit jeher mehr zu den Goldschmieden gehalten hat. Da seine Mutter aus einer ihrer ältesten Familien stammt, hat man es mit seiner Herkunft nicht so genau genommen und es ganz gern gesehen, daß der Sohn der Erzmeisterin bei ihnen aus und ein geht, auch wenn er einen Steppenreiter zum Vater hat. Er macht schon seit längerer Zeit der Tochter des Zunftältesten den Hof, aber bisher ist noch nichts Rechtes daraus geworden, obwohl er längst in dem Alter ist, in dem ein Mann Frau und Kinder haben sollte. Mir scheint fast, daß man bei diesen Alteingesessenen diese nützliche Verbindung doch nicht so weit treiben will, den Sohn eines Steppenreiters in die Familie aufzunehmen. Aber wenn man die Sprache auf diese Sache bringt, wird Azzo so zornig, daß mit ihm überhaupt nicht mehr zu reden ist.
Arnizzo hingegen hatte sich bisher aus diesem Parteiengezänk herausgehalten; doch das hat sich nun leider geändert, seit dieser Lustige Flöter sich völlig auf die Seite der Reiterjunker, wie sie sich neuerdings nennen, geschlagen hat. In letzter Zeit spielt Döli nichts als Spottlieder auf die »Goldwänste«, ja er hetzt die jungen Leute geradezu auf, die alten Familien der Bergdachse zu entmachten, wenn es sein muß mit Gewalt. Arnizzo hatte sich Döli schon damals angeschlossen, als er hier im Tal zu flöten anfing, und ich habe das gern gesehen. Er wollte es wohl seinem Großvater Arni nachtun, der ja auch einen Flöter zum Freund hatte. Über all meinen Geschäften habe ich allerdings nicht bemerkt, auf welche Weise der Junge diesem Lustigen Flöter verfallen ist. Erst jetzt, wo er sich – offenkundig unter dessen Einfluß – diesen Reiterjunkern angeschlossen hat, ist mir das klar geworden. Und jetzt weißt du auch, in welcher Sache ich mir deine Hilfe erhoffe: Döli war dein Schüler, und wenn überhaupt jemand Einfluß auf ihn ausüben kann, dann bist du das.«
Lauscher dachte eine Weile nach, trank zwischendurch einen Schluck Wein, und dann sagte er: »Ich weiß nicht, ob ich dazu in der Lage bin. Seit vielen Jahren habe ich Döli nicht mehr gesehen, sondern immer nur von ihm reden hören. Er hat mich nie mehr im Flachtal besucht, seit ich von den Blutaxtleuten zurückgekommen bin, und ich kann mir das nur damit erklären, daß er mir aus dem Weg gegangen ist, weil er nach seiner eigenen Art des Flötens sucht und sich von meinem Einfluß freihalten möchte. Mir gefällt das auch nicht, was du erzählst, aber vielleicht sollte man das alles nicht so ernst nehmen. Junge Leute gehen oft seltsame Wege, ehe sie zu sich selbst finden.«
Belarni schüttelten den Kopf und hieb ungeduldig mit der Hand durch die Luft. »So jung ist auch Arnizzo nicht mehr, daß er diesen Unsinn mitmachen müßte«, sagte er. »Und soll ich es nicht ernst nehmen, wenn meine beiden Söhne sich augenblicklich in die Haare geraten, sobald sie einander begegnen? Arnilukka und ich sind nicht die einzigen, die sich Sorgen darüber machen. Auch deine Tochter
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