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Stein und Flöte

Stein und Flöte

Titel: Stein und Flöte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Bemmann
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um auch ihn zu töten. Jeden jungen Mann, der ihr Gebiet betritt, fängt sie ab und fragt ihn aus, aber bisher hat sie ihn noch nicht gefunden, höchstens einmal einen Gespielen, der ihr die Nächte verkürzt, bis sie ihn wieder wegjagt und ihren Wölfen überläßt. Aber in Barleboog ist seither jede Freude erstorben.

    »Das ist alles, was ich über Gisa und ihre Wölfe gehört habe«, sagte der Schäfer. »Was davon zu halten ist, weiß ich nicht. Die Leute erzählen viel, wenn im Winter die Nächte lang sind. Du wirst es vielleicht besser wissen, Lauscher, wenn du selber dort gewesen bist.«
    »Wer weiß schon, was hinter den Dingen steckt, die er sieht«, sagte Lauscher. »Kann sein, daß ich einer Gefahr entronnen bin, von der ich nichts wußte. Ich habe nicht gesehen, daß Wölfe zu Menschen wurden; daß Gisa aber Menschen zu Wölfen machen kann, habe ich an mir selbst erfahren.«
    Barlo hatte die Geschichte des Schäfers aufmerksam angehört, aber sein Gesicht blieb verschlossen und verriet nicht, was er davon hielt. In den folgenden Tagen war jedoch die Fröhlichkeit aus seinem Flötenspiel verschwunden, und wenn Lauscher jetzt zuhörte, sah er die Wölfe durch das Tal von Barleboog traben.
    Über die Ereignisse dieses Sommers auf der Schafweide gibt es sonst kaum Nennenswertes zu berichten. Barlo machte von seinem Recht als Herr eines Dieners durchaus Gebrauch, indem er es zumeist Lauscher überließ, sich um die Herde zu kümmern, während er selbst irgendwo unter einem Baum saß und auf seiner Flöte spielte. Und da auch der Schäfer sich eher Barlo gleichstellte als dem Diener dieses angelernten Schafhirten, machte auch er ähnliche Rechte geltend. So bekam Lauscher allerhand zu tun: Er mußte aufräumen, waschen, Wasser vom Bach im Talgrund zur Hütte heraufschleppen und kochen, alles Tätigkeiten, die er in seiner Begierde nach ungewöhnlichen Ereignissen wenig befriedigend fand, wobei noch gesagt werden muß, daß Kochen zwar zur Kunst, ja zu einem wahren Abenteuer werden kann, kaum jedoch, wenn man nichts weiter zur Hand hat als Wasser, Mehl, Fett und allenfalls ein bißchen Schafkäse. Vor allem muß man Lust dazu haben, und die hatte Lauscher ohne Zweifel nicht.
    Sein einziger Trost in dieser Zeit war sein Esel Jalf. Er brauchte ihn nur beim Namen zu rufen, und schon kam er über die Wiese herangaloppiert, um sein weiches Maul an Lauschers Wange zu reiben. Lauscher gewöhnte sich daran, ihn auch ohne Sattel zu reiten, und trabte mit ihm über die Hügel, wenn einmal nichts anderes zu tun war und Barlo sich bereit fand, auf die Herde zu achten. Lauscher ließ seinen Esel über niedrige Hecken springen, und wenn er einmal herunterfiel, kam Jalf zu ihm zurück und stupste ihn so lange mit seiner Nase, bis er wieder aufstand. Aber dergleichen geschah nur anfangs, und es dauerte nicht lange, bis Lauscher auf seinem Esel durch das Tal jagte wie ein graufelliger Zentaur.
    Darüber verging der Sommer, die Beeren der Ebereschen färbten sich leuchtend rot, der scharfe Bergwind warf die Nüsse aus den Haselstauden, und in den Nächten wurde es in der Schäferhütte schon ziemlich kalt.
    In einer solchen Nacht wachte Lauscher davon auf, daß Jalf mit den Hufen gegen die Tür der Hütte schlug und laut schrie, einen langen, wilden Eselsschrei, der von der anderen Talseite widerhallte. Auch Barlo und der Schäfer waren hochgefahren, und Lauscher stand auf, um nachzusehen, was seinen Esel aufgestört habe. Er hatte noch nicht die Tür erreicht, als er oben vom Waldrand her Wölfe heulen hörte. Da sprangen auch die beiden anderen von ihren Schlafpritschen, jeder griff sich Bogen und Pfeile, und dann liefen sie hinaus in die Nacht. Lauscher schwang sich auf seinen Esel und trieb ihn im Galopp hinüber zu den Schafen, die sich ängstlich blökend zusammendrängten.
    Während er die Herde umritt, hörte er hinter sich schon den schweren Hufschlag von Barlos Pferd. Aber auch das Heulen kam rasch näher, und gleich darauf sah Lauscher die schattenhaften Gestalten zwischen den Büschen am Waldrand herunterhuschen. Er legte einen Pfeil auf die Sehne und wartete, bis die ersten Wölfe nahe genug waren. Gleich mit dem ersten Schuß traf er den Leitrüden, der einen Satz in die Luft machte und strampelnd liegenblieb. Dann war auch schon Barlo neben ihm und sandte Pfeil auf Pfeil in das heranstürmende Rudel.
    Fast mit jedem Schuß blieb ein Wolf auf der Strecke, aber die übrigen kamen rasch näher. Ein riesiges Tier

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