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Stein und Flöte

Stein und Flöte

Titel: Stein und Flöte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Bemmann
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wenig aufzuweisen hatte, was ihn einer solchen Verwandtschaft würdig machte.
    »Also lebt er doch noch«, sagte der Bauer, »und wenn dein Herr bei ihm in die Lehre gegangen ist, wundert es mich nicht mehr, daß er so spielen kann.«
    »Wann hast du den Sanften Flöter gehört?« fragte Lauscher.
    »Das ist viele Jahre her«, sagte der Bauer. »Ich war damals noch nicht verheiratet, aber ich hatte ein Mädchen, das ich gern mochte. Wir waren schon eine Zeitlang miteinander gegangen, wie man so sagt, doch dann bekamen wir Streit. Der Anlaß dazu wird dir lächerlich erscheinen. Es ist wohl oft so, daß dergleichen mit lächerlichen Dingen anfängt. Es ging darum, daß sie mich immer wieder ›mein Bäuerlein‹ nannte. Ihr Vater war nämlich ein Jäger, und da die Jäger sich hierzulande viel auf ihr freies Leben zugute halten, glaubte ich wohl, sie wolle mich verspotten. Außerdem begannen meine Freunde mich auszulachen, wenn sie mich vor ihnen so nannte. ›Du gehörst ihr wohl schon, der stolzen Jägerin?‹ fragten sie. ›Hat sie dich schon erlegt?‹
    All das ärgerte mich jedenfalls, und ich fuhr ihr über den Mund, als sie wieder einmal diesen Kosenamen gebrauchte. Da wurde sie böse und sagte: ›Wenn du nicht mein sein willst, kann ich ja gehen.‹ Seither liefen wir aneinander vorbei und grüßten uns kaum. Aber ich mochte sie noch immer gern und war nicht nur wütend auf sie, sondern auch auf mich selber, daß ich sie wegen einer solchen Kleinigkeit verloren hatte. Doch je länger dieser Zustand dauerte, desto schwerer fiel es mir, zu ihr hinzugehen und ein gutes Wort zu sagen.
    So standen die Dinge, als wie heute das Herbstfest gefeiert werden sollte. Die Ernte war eingebracht, das Vieh von den Weiden getrieben, und zu diesem Anlaß feiern wir dieses Fest in jedem Jahr. Es fand damals sogar in diesem Raum statt, denn dies hier ist der größte Hof im Dorf, und wer ihn besitzt, hat zugleich die Verpflichtung, das Fest auszurichten. Damals war das mein Vater.
    Es wurde also geschmaust, getrunken und auch getanzt. Mein Vater hatte aber in diesen Tagen einen Gast, von dem ich noch nicht viel gesehen hatte, da ich vom Morgen bis zum Abend damit beschäftigt gewesen war, die Garben in die Scheune zu fahren. Ich hatte diesen Mann auch nicht weiter beachtet; denn er war klein, trug auf der Nase ein goldenes Gestell mit Gläsern wie ein Schreiber und sah nicht so aus, als sei er auf irgendeine Weise bemerkenswert. Dieser Mann saß neben meinem Vater am Tisch und redete nicht viel. Als dann getanzt wurde, fragte ihn mein Vater, ob er für die Leute etwas spielen wolle.
    ›Gern‹, sagte der Mann. ›Auf diese Weise kann ich mich gleich für deine Gastfreundschaft bedanken.‹ Er stand auf, zog eine silberne Flöte aus der Tasche und ging hinaus auf den Tanzboden. Mir kam es damals merkwürdig vor, daß die Leute ihm Platz machten und erwartungsvoll auf ihn blickten, obwohl er so unscheinbar aussah. Dann fing er an zu spielen, und das war eine Musik, die anders klang als alles, was mir je zu Ohren gekommen war. Die Melodie riß die Tänzer vom ersten Takt an mit, und auch ich konnte nicht länger am Tisch sitzen bleiben und stand auf, um mir eine Tänzerin zu suchen. Da sah ich am anderen Ende des Raumes mein Mädchen stehen, die stolze Jägerin, und auch sie sah mich an, und wir gingen mitten durch die Tanzenden aufeinander zu, als sei zwischen uns nie ein Streit gewesen. Ich nahm sie in die Arme, und wir tanzten und vergaßen darüber alles, was um uns her vorging. ›Mein Bäuerlein‹ sagte sie zu mir, und das ärgerte mich jetzt überhaupt nicht mehr; denn ich wußte, daß es nicht aus Stolz, sondern in Liebe gesagt wurde, und daß sie mich so haben wollte, wie ich war, nicht anders als wie ich sie haben wollte, meine stolze Jägerin. Ich merkte auch, daß es mein eigener Stolz gewesen war, der mir im Wege gestanden hatte, und auch meine Angst, von den Freunden ausgelacht zu werden. Doch diese Musik ließ mich wachsen, ich tanzte und tanzte, und all das, was ich für eine unübersteigbare Mauer gehalten hatte, lag weit unter mir wie Kies, den man mit den Füßen beiseite stößt, ohne darauf zu achten. Daß ich mich vor alledem gefürchtet hatte, kam mir so komisch vor, daß ich anfing zu lachen. Ich lachte und lachte und lachte noch immer, als der Flöter zu spielen aufgehört hatte. Und auch meine stolze Jägerin lachte, warf mir die Arme um den Hals und gab mir einen Kuß. Noch im folgenden Winter haben

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