Stein und Flöte
auf dem Tanzboden, daß ihre Röcke flogen.
Barlo saß abseits in einem Winkel der Stube, trank hie und da einen Schluck aus seinem Becher und beobachtete das Treiben. Da er nur mit wenigen Gesten antwortete, wenn ihn einer ansprach, hatte man ihn bald sich selbst überlassen. Doch als der Fiedler, der zum Tanz aufspielte, einmal eine Pause machte, holte Barlo seine Flöte heraus und stellte sich mitten auf den Tanzboden. Jetzt wurden alle Leute auf ihn aufmerksam, zumal er fast alle um Haupteslänge überragte. Er setzte sein Instrument an die Lippen, und schon bei den ersten Tönen, die er spielte, zuckte es den Tänzern in den Beinen. Sie begannen zu tanzen und wirbelten rings um den Spieler. Lauscher wurde in den Strom hineingerissen, packte ein Mädchen und stampfte den Rhythmus mit, den der Flöter angab. Barlo stand in der Mitte wie ein Pfahl, den strudelndes Wasser umkreist, und spielte, wie ihn Lauscher noch nie gehört hatte. Gesichter flogen vorüber, lachende Münder, Augen, die für Sekunden seinen Blick trafen und wieder davontrieben im wilden Trubel des Tanzes, farbige Tücher glitten vorbei, Schmuck blitzte auf, und all das verschwamm zu einem flimmernden Nebel, der sich rasend drehte, getrieben von der süßen Gewalt der Flötenmelodie, die sprang und wogte, bis es nichts mehr gab außer dieser Musik, und aus dem wogenden Nebel formten sich Augen von schwer zu beschreibender Farbe, gewannen Konturen und blickten ihn an aus einem Gesicht, das er kannte und doch nicht kannte, und er ließ sich fallen in diese Augen, stürzte hinein, versank, wußte nicht, wo er war, und wußte zugleich, daß er nirgendwo anders sein wollte als im unerreichbaren Grund dieser Augen, die jung waren wie die eines Kindes und doch auch alt, als blickten sie über Jahrhunderte hinweg, und deren Blick eine Antwort versprach auf all das, was er nicht begreifen konnte, und während er sank und sank, klang wie eine Glocke eine Stimme in seinem Kopf, die sagte: »Warte nur, Lauscher, das ist noch nicht alles.«
Dann brach die Flötenmelodie ab, und die Augen löschten aus wie ein Traumgesicht. Aus dem Nebel lösten sich die Gestalten der Tänzer, und Lauscher blickte verwirrt auf das Mädchen, das er zum Tanz geholt hatte, eine Bauerndirne mit erhitzten Wangen, die ihn aus ihren blitzblauen Augen verwundert anschaute. »Tanzen kannst du, daß einem der Atem wegbleibt«, sagte sie, »aber was du dabei denkst, das weiß der Himmel.«
Barlo wurde von allen bestürmt, noch einmal zu spielen, aber er weigerte sich und zog sich wieder in seinen Winkel zurück. Lauscher ließ sich erschöpft auf seinen Stuhl fallen und schenkte sich ein Glas Most ein. Der Bauer setzte sich zu ihm und sagte: »Daß dein Herr kein Schäfer ist, habe ich mir schon gedacht, als ich sein Pferd sah; denn es stammt aus einer edlen Zucht. Was ist er nun eigentlich? Ein Spielmann?«
Lauscher zuckte mit den Schultern und sagte: »Kann sein. Vielleicht ist er ein Spielmann.« Er wußte immer weniger, was er von Barlo halten sollte. Wer war er nun wirklich? Ein davongejagter Pferdeknecht? Ein Spielmann? Das konnte schon sein. Spielleute pflegten über Land zu reiten, um bei Jahrmärkten und Festen aufzuspielen. Aber dann fiel ihm ein, daß Barlo seine Kunst erst beim Sanften Flöter gelernt hatte. Er hatte sich allerdings als ein sehr gelehriger Schüler erwiesen. Vielleicht hatte er früher ein anderes Instrument gespielt, das er jetzt nicht mehr besaß. Oder er war einer der Sänger gewesen, die auf den Jahrmärkten alte Balladen vortrugen. Er fand keine Antwort, und wie er Barlo kannte, würde er auch von ihm so bald keine bekommen.
»Ihr seid ein merkwürdiges Paar«, sagte der Bauer. »Reitet zusammen durch das Land, hütet meine Schafe, kämpft gegen ein Wolfsrudel, und dann erweist sich dein Herr auch noch als ein Flötenspieler, wie ich in meinem Leben noch keinen gehört habe, außer einem – doch den wirst du nicht kennen. Und bei alledem weißt du nicht einmal zu sagen, wer dein Herr eigentlich ist.«
»Wen meinst du mit dem einen, den du schon so hast spielen hören?« fragte Lauscher und ahnte die Antwort schon im voraus.
»Der muß jetzt schon ziemlich alt sein, wenn er überhaupt noch lebt«, sagte der Bauer. »Man nennt ihn den Sanften Flöter.«
»Bei dem waren wir im letzten Winter«, sagte Lauscher. Daß er der Enkel dieses Mannes war, verschwieg er; denn er hatte es satt, sich mit dem Ruhm anderer Leute zu schmücken, zumal er selbst
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