Stein und Flöte
Urla hat schon mehrmals versucht, zwischen ihnen Frieden zu stiften, obwohl sie mit ihren vier Kindern schon genug zu tun hat.«
Er wurde durch ein Klopfen an der Tür unterbrochen, und auf seinen Ruf hin trat der Hausverwalter ein, ein älterer, grauhaariger Mann, der nach der Bildung seines Gesichts und seiner Art sich zu kleiden offensichtlich von den Alteingesessenen aus Arziak stammte, und fragte, ob er Belarni stören dürfe, und als dieser nickte, berichtete der Mann, es sei ihm zu Ohren gekommen, daß die Junker im Begriff seien, sich wieder einmal zusammenzurotten. Vielleicht sei es gut, beizeiten etwas zu unternehmen, ehe es einen Zusammenstoß gebe.
»Da siehst du’s!« sagte Belarni zu Lauscher. »Und Arnizzo reitet zusammen mit dem Lustigen Flöter vermutlich allen voran!« Dann verließ er mit dem Hausverwalter die Stube.
Seit Belarni Urla erwähnt hatte, war Lauscher der Gedanke an seine Tochter nicht mehr aus dem Sinn gekommen. »Ich will nicht von euren Sorgen ablenken«, sagte er zu Arnilukka, »aber ich wüßte doch gerne, wie es Urla geht. Seit sie vor über einem Jahr ihr viertes Kind zur Welt gebracht hat, ist sie nicht mehr ins Flachtal gekommen. Ich weiß nur, daß sie zu ihren drei Söhnen nun auch eine Tochter geboren hat.«
»Eine Tochter mit Urlas Augen«, sagte Arnilukka lächelnd und ließ dabei offen, ob sie die alte oder die junge Urla meinte. »Sie hat das Kind nach ihrer Großtante Rikka genannt, die auch einen Eisenschmied zum Mann hatte.«
»Diese Augen haben mich zu euch zurückgerufen«, sagte Lauscher und erzählte, was er oben in den Bergen erlebt hatte, und während er sprach, konnte er seinen Blick nicht von diesen Augen lassen, die ihm noch so jung erschienen wie an dem Tag, als er zum erstenmal in sie hineingeschaut hatte. »Aber ich komme ins Reden«, sagte er schließlich, »und möchte doch etwas über unsere Tochter erfahren. War die Geburt so schwer, daß Urla nicht ins Flachtal kommen konnte, um mir das Kind zu zeigen?«
»Ja«, sagte Arnilukka. »Sie war lange Zeit ziemlich schwach und hat sich erst in den letzten Monaten langsam erholt. Zum Glück hat sie eine tüchtige Magd, die ihr geholfen hat, den Haushalt in Gang zu halten. Es sind ja ständig Gäste zu bewirten in einer Schmiede, Leute, die ihr Pferd beschlagen lassen und darauf warten wollen, oder andere, die irgendwelche Werkzeuge oder Waffen in Auftrag geben. Du weißt doch, wie das ist: Da muß dann besprochen werden, wie dies oder jenes beschaffen sein soll, und dabei kann man einen Kunden nicht trocken und ohne Zubiß sitzen lassen. Ihr gefällt dieses Leben, denn sie hat gern Leute um sich, aber dabei hat sie natürlich alle Hände voll zu tun. Und bei alledem findet sie auch noch Zeit, sich um die Streitigkeiten ihrer Brüder zu kümmern. Sie kann es nicht ertragen, daß Geschwister sich derart miteinander verfeinden.«
»Sie trägt Arnis Stein«, sagte Lauscher, und das schien ihm eine hinreichende Erklärung zu sein.
In diesem Augenblick kam Belarni in die Stube zurück und sagte: »Ich wollte Arnizzo noch zurückhalten, aber er war schon ausgeritten. Azzo ist schon seit dem Morgen außer Haus. Mir blieb nichts anderes übrig, als dem Ältesten der Goldschmiede eine Nachricht zu schicken, er solle sorgen, daß seine Leute von der Straße wegbleiben, damit es zu keinem Aufruhr kommt. Ob es allerdings etwas nützt, bezweifle ich.«
Während er noch sprach, näherte sich draußen auf dem Platz Hufgetrappel. »Da sind sie schon«, sagte Belarni und trat zum Fenster. Lauscher stand auf und folgte ihm, und da sah er die Junker heranreiten. Er erinnerte sich noch gut an den Anblick einer Horde von Beutereitern, wie sie mit fliegenden Zöpfen und in ihren abgewetzten ledernen Kleidern auf ihren struppigen Gäulen über das graue Gras herangesprengt waren, doch was er hier zu sehen bekam, unterschied sich beträchtlich von der ungezähmten Wildheit dieser Steppenjäger. Die Reiter dieser Kavalkade saßen allesamt auf hochgezüchteten, bei jedem Schritt nervös tänzelnden Pferden, und ihre Kleidung verriet zwar noch ihre Herkunft, war aber von feinstem, hell gegerbten Leder und fast überladen mit bunten Stickereien, in deren phantastischen Ornamenten sie einander zu übertreffen versuchten; auch die Scheiden ihrer Krummschwerter waren ähnlich reich verziert. Sogar in ihre Schläfenzöpfe hatten die Junker farbige Bänder eingeflochten; offenbar wollten sie damit ihre Zugehörigkeit zu einer
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