Stein und Flöte
und Jungpferde, Tuch und Leinen wurden feilgeboten, lederne Gürtel und Schuhwerk, Hacken und Äxte, Messer und Scheren, Schnüre und Seile, auch allerlei Tand, Ketten oder Gewandnadeln, die man seiner Liebsten schenken kann, und es war ein Lärm, daß man kaum sein eigenes Wort verstand; Kühe brüllten, Pferde wieherten, Gänse schnatterten, und je stärker der Lärm anschwoll, desto lauter schrie jeder dem anderen in die Ohren, um sich verständlich zu machen. Lauscher konnte den alten Mann kaum hören, der an einer Hausecke stand und eine Ballade sang. Er wunderte sich, daß sich dennoch ein paar Leute im Kreis um den Sänger versammelt hatten, und ging neugierig näher heran. Der Alte schien das Stimmengewirr überhaupt nicht wahrzunehmen und sang halblaut vor sich hin. Seine Stimme hatte jedoch einen so durchdringenden Klang, daß man jedes Wort verstehen konnte, wenn man nahe genug herantrat. Lauscher blieb stehen, denn was der Alte sang, kam ihm bekannt vor.
… und sie schlief bei ihm
bei dem bösen Alten
und kraulte sein zottiges Fell
zwölf Nächte im Wald
zwischen haarigen Pfoten
und rings die fünfzig Gesellen
zwölf Tage im Wald
auf trabenden Füßen
mit fünfzig zottigen Knechten
sie kamen ins Tal
und würgten die Schafe
zerfleischten des Nachts an die hundert
und kamen zum Schloß
dort tranken sie Wein
und warteten auf den Abend …
An dieser Stelle wurde der Sänger von einer rauhen Stimme unterbrochen. »Was leierst du da für ein jämmerliches Lügenlied?« Lauscher fuhr herum und sah vor sich einen bärtigen Mann stehen, der eine graue Pelzjacke trug. »Ist es nicht so?« sagte der Mann weiter zu den Leuten, die dem Alten zugehört hatten. »Er bringt kaum noch einen klaren Ton aus der Kehle und kann es noch immer nicht lassen, die Kinder mit seinen Schauerballaden zu erschrecken. Man sollte ihn davonjagen, findet ihr nicht? Er stört nur das friedliche Marktgeschäft.«
Einige Leute stimmten ihm zu, ein anderer sagte: »Laß ihn doch! Mich stört er nicht. Manche Leute hören gern solche Geschichten. Und wer weiß: vielleicht ist was dran.«
»Altweiberkram!« sagte der Bärtige. »Ist das was für Männer? Da habe ich euch Besseres zu bieten: Ich suche ein paar kräftige junge Leute, die auf mehr aus sind als auf Ammenmärchen. Männer, die mit Hammer und Hacke umgehen können. Gibt’s die hier?«
»Das kann ich schon«, sagte ein junger Mann, der neben Lauscher stand. Und auch ein paar andere wurden jetzt neugierig und fragten den Bärtigen, was es da zu hacken und zu hämmern gebe.
»Kommt ganz nahe zu mir«, sagte der Mann. »Es muß nicht jeder hören, sonst will gleich jeder mitgehen, und so viele kann ich nicht brauchen.« Er zog die Männer an sich heran und flüsterte: »Was es da zu hacken gibt? Gold! Gold in faustgroßen Klumpen, haufenweise Gold, soviel ihr nur wollt. Hat keiner von euch Lust, sich das anzusehen?«
Während er auf Antwort wartete, hatte der alte Sänger schon einen neuen Vers zu seiner Ballade gefunden:
Sie schinden bei Tag
und schinden bei Nacht
und sterben mit Gold in den Händen.
Da stieß der Bärtige die Männer zur Seite und schrie: »Muß man dir erst das Maul stopfen, du giftige Kröte?« Er stürzte auf ihn zu, doch ehe er ihn erreichte, war der große Barlo wie aus dem Nichts vor ihm aufgetaucht, stellte sich vor den Sänger und fing an zu flöten. Er nahm die Melodie der Ballade auf, und jedermann konnte verstehen, was er spielte:
Sie schickt über Land
ihre zottigen Knecht’,
die fangen ihr neue Sklaven.
Sie locken mit Gold
und schweigen vom Tod
in den Stollen der bösen Herrin.
Ich rate euch gut:
jagt die Wölfe vom Markt
und bleibt bei der Liebsten zu Hause.
Dabei tanzte er vor der Nase des Bärtigen hin und her, daß dieser ganz verwirrt wurde und weder den Flöter noch den Sänger angreifen konnte. Die Umstehenden fingen an zu lachen über die Hilflosigkeit des Mannes in der Pelzjacke, und als dieser sich schließlich in blinder Wut auf Barlo stürzen wollte, fielen ihm die Leute in den Arm, und einer sagte, er solle schauen, daß er verschwinde, denn mit Störern des Marktfriedens mache man hier in Draglop kurzen Prozeß. Da verdrückte sich der Bärtige in der Menge.
»Danke für die Hilfe«, sagte der Alte zu Barlo. »Du bist ein guter Flöter. Ich habe dich noch nie gesehen. Wo kommst du her?«
Barlo zuckte mit den Schultern und blickte sich hilfesuchend um. Lauscher stand schon bereit und antwortete statt
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