Stein und Flöte
wir geheiratet, und ich habe es nie bereut. Manche Leute finden es übrigens bemerkenswert, daß in jenem Winter so viele Hochzeiten stattfanden. Doch wer sich darüber wundert, ist wohl nicht auf diesem Fest gewesen.«
Lauscher lachte und fand das nicht weiter verwunderlich. Wer mit einer ganzen Horde Beutereiter fertig wurde, der war wohl auch imstande, ein paar zerstrittene Liebesleute ins Ehebett zu scheuchen, zumal sie eigentlich gar nichts anderes im Sinn hatten. »Ich möchte den sehen«, sagte er, »der seiner Flöte widerstehen kann.«
»Ja«, sagte der Bauer. »Manchmal ist man so verbohrt, daß man erst mit sanfter Gewalt auf sein Glück gestoßen werden muß.«
Barlo und Lauscher führten den Winter über ein geruhsames Leben auf dem Hof. Manchmal packten sie mit an, wenn irgendeine Arbeit es erforderte, aber zu dieser Jahreszeit gab es ohnehin nicht allzuviel zu tun, und seit die Bauersleute erfahren hatten, daß ihre Gäste vom Sanften Flöter gekommen waren, ließen sie es kaum noch zu, daß sie sich die Hände schmutzig machten. Nur um ihre Reittiere kümmerten sich Barlo und sein Diener selbst. Lauscher hätte es nicht zugelassen, daß Jalf von fremden Leuten versorgt wurde, solange er bei ihm war. Er ritt auch mit ihm aus, um ihm Bewegung zu verschaffen und im Eselreiten nicht aus der Übung zu kommen. Manchmal lenkte er Jalf zu den Hügeln, hinter denen am Horizont die Wälder von Barleboog lagen wie ein dunkler, jetzt im Winter weiß überpuderter Spitzensaum; manchmal ließ er seinen Esel auch auf dem Dammweg dahintraben, der am Fluß entlang führte.
Diesen Weg schlug er auch an einem windigen Morgen im Spätwinter ein. An den Tagen vorher hatte Tauwetter den Fluß stark anschwellen lassen, dann hatte es wieder einen Frosteinbruch mit Schneefall gegeben, und das Wasser war ein Stück zurückgegangen. Lauscher trieb seinen Esel durch die Auwiesen und hinauf auf den Dammweg. Dort gab er ihm die Zügel frei, daß er laufen konnte, wie er Lust hatte, und ließ sich dahintragen unter dem grauen, von streifigen Wolken überzogenen Himmel.
Nachdem er eine Weile so geritten war, überkam ihn plötzlich die Lust, ein Stück zu Fuß zu gehen. Er stieg ab, gab Jalf einen Klaps, und der wußte dann schon, daß er jetzt nicht gebraucht wurde, und schwenkte ab ins Auland, um aus den schlaffen, graubraunen Grasbüscheln noch ein paar saftige Halme herauszustöbern.
Lauscher ging langsam weiter auf dem Dammweg. Links von ihm am Flußufer hingen im kahlen, sperrigen Gebüsch flache Eisfahnen wie zerschlissene Wäsche, die zurückgeblieben waren, als das Hochwasser durch die Zweige streifte. Der lehmige Boden war gefroren, und die Pfützen überzog milchiges Eis, das unter den Schritten zersplitterte. Auf dem Weg lagen Steine, von kristallenem Reif gesäumt, rote Steine, graue Steine, schwarze Steine, und er ging darüber hin, begleitet vom Rauschen des Flusses, ging auf einem Weg, der aus der Zeit herausführte, von irgendwoher nach irgendwohin, und hörte das Eis unter seinen Schritten knirschen. Oder waren da noch andere Schritte? Er wagte nicht, die Augen vom Boden zu heben, und das Muster aus Eis und Steinen verschwamm, als löse sich der Boden unter seinen Füßen auf. Er hörte die anderen Schritte und hörte eine Stimme, die Stimme einer Frau. Sie klang wie von weither und doch nahe, wie das Läuten einer Glocke, das übers Feld herweht und doch so nahe spürbar wird, als töne sie im eigenen Hirn. »Meinst du Lauscher«, sagte die Stimme, »dieser Weg sei ohne Ziel?« Er hörte ein Lachen, das klang wie das Gurren einer Taube. »Wer den Stein trägt«, sprach die Stimme weiter, »der hat das Ziel, auch wenn er es noch nicht kennt. Halte die Augen offen, Lauscher, denn was du weißt, ist noch lange nicht alles. Halte die Augen offen, damit du nicht an mir vorbeigehst, wenn ich am Wege stehe und auf dich warte.« Während der Klang der Stimme noch in seinem Kopf nachschwang, spürte er, wie eine Hand flüchtig sein Gesicht berührte. Oder war das nur der scharfe, ziehende Wind, der ihm das Haar über das Gesicht wehte? Er blickte auf und sah in zwei Augen, die ihm vertraut waren. Urlas Augen? Oder Rikkas? Oder die eines Kindes? Er konnte es nicht herausfinden, denn schon trieben sie im Wind davon, verschmolzen mit den grauen Wolken, und er sah nichts weiter als den flachen Horizont, der von den am Flußufer aufragenden Pappeln durchschnitten wurde. Aber er spürte auch, wie der Stein, den er auf der
Weitere Kostenlose Bücher