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Stein und Flöte

Stein und Flöte

Titel: Stein und Flöte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Bemmann
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seiner: »Mein Herr kann sich nur auf der Flöte mit dir unterhalten. Er heißt Barlo, und wir sind von den Dörfern oben am Fluß heruntergekommen. Mich nennt man Lauscher.«
    »Sieh da«, sagte der Alte. »Barlo heißt er also«, und das klang so, als wolle er damit mehr sagen, als Lauscher verstehen konnte. »Ein Barlo, der Meister auf der Flöte ist«, fuhr der Alte fort. »Das ist eine gute Sache. Willst du hier auf dem Markt spielen, Barlo?«
    Barlo nickte.
    »Du wirst ein dankbares Publikum finden«, sagte der Alte. »Ich empfehle dir den Platz dort drüben an der Marktsäule.« Die Säule stand am anderen Ende des Platzes, und Lauscher war sich nicht im klaren, ob der Sänger Barlo diesen Vorschlag machte, weil diese Stelle wirklich erfolgversprechend war oder weil Barlo ihm selbst dann keine Zuhörer abspenstig machen würde. Auf jeden Fall war es in diesem Gewerbe vernünftig, einander nicht ins Gehege zu kommen.
    »Vor diesem bärtigen Burschen würde ich mich an deiner Stelle künftig in acht nehmen«, sagte der Alte noch. »Kommt heute abend in die Silberne Harfe. Da werde ich euch mit ein paar Leuten aus unserer Zunft bekannt machen. Fragt nach mir. Man nennt mich Rauli, den Sänger.«
    Barlo und Lauscher drängten sich durch das Marktgetriebe hinüber zu der Säule, die auf der gegenüberliegenden Seite die Buden und Verkaufsstände überragte. Sie trug obenauf das steinerne Abbild eines Drachens, des Wahrzeichens von Draglop, und war in einen kniehohen Steinsockel eingelassen. Barlo sprang auf diese Plattform hinauf und zog seine Flöte aus der Tasche. Zunächst spielte er eine wilde Tanzweise, die so schrill durch das Getöse des Marktes drang, daß die Leute stehenblieben und sich um die Marktsäule scharten. Ohne abzusetzen, leitete er dann zu einer einfachen Melodie über und spielte eine Ballade, von der Lauscher jedes Wort zu verstehen meinte. Sie lautete so:
    Ein Drache saß im Tal,
    der Drache von Draglop,
    er saß auf seinem hohen Stein
    und wollte Schutz und Hüter sein
    der Leute von Draglop.
    Der Drache schaut zum Wald,
    zum Wald von Barleboog,
    er schaut nach seinem Bruder aus,
    doch der kommt nicht aus seinem Haus,
    der Bär von Barleboog.
    Der Bär saß hoch im Schloß,
    im Schloß von Barleboog,
    er saß und feierte ein Fest,
    da kamen einundfünfzig Gäst’
    zum Bär von Barleboog.
    Er lud sie zu sich ein,
    der Bär von Barleboog,
    er lud sie ein, die schöne Frau
    und fünfzig Knechte, wild und rauh
    aufs Schloß von Barleboog.
    Da brach die Nacht herein
    im Schloß von Barleboog,
    und fünfzig Wölfe heulten laut
    und fraßen, ehe der Morgen graut,
    den Bär von Barleboog.
    Der Drache saß im Tal,
    der Drache von Draglop.
    Hört er nicht, wie sein Bruder schreit?
    Gebt acht, die Wölfe sind nicht weit,
    ihr Leute von Draglop!
    Bei der dritten Strophe hatten die Leute schon angefangen mitzusummen, und als Lauscher begann, laut zu singen, fielen auch andere in den Gesang ein und wiederholten zum Schluß noch einmal die beiden letzten Zeilen.
    Gebt acht, die Wölfe sind nicht weit,
    ihr Leute von Draglop!
    Während sie noch sangen, zischte aus der Menge ein Messer gegen den Flöter und schlug dicht neben ihm einen Steinsplitter aus der Säule. Lauscher blickte in die Richtung, aus der das Messer geworfen worden sein mußte, und sah eben noch einen grauen Pelz in dem Tumult untertauchen, der nun ausbrach. Alle schrien durcheinander, manche packten aufs Geratewohl ihren Nachbarn beim Kragen in der Meinung, den Messerwerfer erwischt zu haben, und es fehlte nicht viel, daß Barlos erster Auftritt mit einer gewaltigen Prügelei geendet hätte.
    Ehe es so weit kommen konnte, stieß Barlo einen, jener durchdringenden Schreie aus, deren sich Lauscher nur allzugut erinnerte, und brachte die Leute mit einer Geste zur Ruhe. Er setzte wieder seine Flöte an die Lippen und spielte einen Tanz, dessen lockende Melodie den Leuten sofort in die Beine fuhr. Sie begannen im Rhythmus der Flöte zu stampfen, legten einander die Arme auf die Schultern und umkreisten die Säule und den Flöter. Lauscher ging mit vorgehaltenem Hut die Reihe entlang, und es war durchaus nicht nur Kleingeld, was die Tänzer hineinwarfen. Je rascher das Stampfen dröhnte, desto mehr Tänzer reihten sich ein. Schon wurde ein Marktstand umgeworfen. Auch hier hatte offenbar wieder der Bärtige im Pelz seine Hand im Spiel; denn Lauscher sah ihn über den umgestürzten Verkaufstisch springen und dabei noch einen Stapel von irdenen

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