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Stein und Flöte

Stein und Flöte

Titel: Stein und Flöte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Bemmann
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dröhnte und der Staub in dem Lichtbalken flirrte, den die Sonne durch das Fenster warf.
    Nach einem der wilden Fischertänze ließen sich alle erschöpft auf die Wandbänke fallen. Da holte Barlo seine Flöte hervor und spielte all die Lieder, die er bei Waloschs Leuten gehört hatte, und auch solche, die man hier noch nicht kannte. Alle wunderten sich, wie er es fertigbrachte, daß man den Inhalt der Lieder verstehen konnte, ohne daß einer sang. »Du sprichst ohne Zunge deutlicher als mancher, der sie noch im Mund hat und doch nichts Gescheites damit zu Wege bringt«, sagte Kurlosch. »Du hättest auf deiner Flöte spielen sollen, als ich dich für einen entlaufenen Dieb hielt, und ich hätte dich sofort als Gast aufgenommen.«
    So ging der Nachmittag vorüber, und als auch noch ein nicht minder reichhaltiges Abendessen aufgetischt worden war und keiner mehr so rechte Lust hatte, von seinem Platz aufzustehen, sagte Kurlosch zu Barlo und Lauscher: »Jetzt ist es an der Zeit, daß ihr erfahrt, bei welcher Gelegenheit ich Arnis Stein zum erstenmal gesehen habe«, und er begann mit der

Geschichte von Arni und den Leuten am See
    Ich war noch nicht lange verheiratet, als diese Dinge geschahen. Wir waren damals an einem Frühlingsmorgen noch vor Tag zum Fischen hinaus auf den See gefahren. Es war das richtige Wetter, und so war keiner zurückgeblieben, der ein Ruder führen oder am Netz mit anpacken konnte. Wir fischten den ganzen Tag, und als wir gegen Abend zurückruderten, sangen wir ein paar Lieder für den Grünen, denn der Fang war gut gewesen.
    Es fing schon an, dunkel zu werden, als wir uns dem Landungssteg näherten. Doch je näher wir heranruderten, desto ungewöhnlicher erschien uns alles: Niemand wartete am Strand, keine Kinder, keine Frauen. Und dann entdeckte einer hinter einem Haus die Steppenpferde. »Beutereiter!« schrie er. Im gleichen Augenblick kamen sie auch schon ans Ufer gelaufen, zehn, zwanzig, dreißig und noch mehr Männer. In langer Reihe standen sie schließlich breitbeinig in ihren abgewetzten Lederkleidern am Wasser und lachten, daß ihre Zöpfe tanzten. »Habt ihr einen guten Fang gemacht?« schrie einer herüber, der unsere Sprache kannte. »Kommt doch endlich ans Ufer! Wir haben Hunger! Eure Frauen haben wir schon und auch sonst alles mögliche. Jetzt fehlt uns nur noch frischer Fisch!« Und dann lachten sie wieder und klatschten sich auf die Schenkel vor Vergnügen.
    Wir hatten inzwischen beigedreht und wußten nicht, was wir tun sollten. Manche wollten geradewegs an Land zu ihren Familien, aber sie mußten einsehen, daß wir dieser Horde von Beutereitern nicht gewachsen sein würden, wenn wir waffenlos aus unseren Kähnen ans Ufer waten mußten. Schließlich beschlossen wir, erst einmal wieder auf den See hinauszurudern und in Ruhe zu überlegen, was weiter unternommen werden könnte; denn solange wir auf dem Wasser waren, konnten uns die Beutereiter nichts anhaben.
    Das war eine lange Nacht, das kann ich euch sagen. Erst ruderten wir zum Nachbardorf, legten dort an und klopften die Leute aus den Betten. Aber bleiben konnten wir auch dort nicht; denn die Beutereiter konnten schon am nächsten Morgen hier sein. Also stiegen auch dort alle in die Kähne und nahmen alles mit, was nicht niet- und nagelfest war. Frauen, Kinder und die bewegliche Habe brachten sie auf Aglaias Insel; denn in diesem Schilfdickicht würden sie die Beutereiter nicht finden. So flink sie auf ihren Gäulen in der Steppe und auch sonst auf festem Boden sind, aufs Wasser wagen sie sich nur höchst ungern, müßt ihr wissen. Dann ruderten wir wieder aufs offene Wasser und warteten in Sichtweite von unserem Dorf, was weiter geschehen würde.
    So lange es dunkel war, blieb alles still. Wenigstens hatten sie unsere Häuser noch nicht angezündet, dachte ich damals. Aber das war ein geringer Trost, wenn ich mir vorstellte, was mit meiner Frau geschehen mochte und mit all den anderen, die noch im Dorf waren. Dann wurde es langsam hell, und im Morgengrauen sahen wir, wie ein einzelner Mann zum Landungssteg ging, einen Kahn losband und auf uns zuruderte. Wir erkannten bald, daß es ein Beutereiter war, denn die Zöpfe, die ihm rechts und links an den Schläfen hingen, waren nicht zu übersehen.
    »Den schlag ich tot, wenn er herankommt«, sagte einer. Aber Rulosch, der damals Dorfältester war, sagte: »Das wirst du nicht tun, denn damit ist uns nicht geholfen. Wenn dieser Mann allein zu uns kommt, wird er etwas von uns

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