Steinbock-Spiele
hinaufschweben und alles umarmen. Ich würde ein Teil der Nebel und Supernovas werden, und sie ein Teil von mir; oder vielmehr, ich würde endlich erkennen, daß wir, die ganze Zeit über jeweils ein Teil vom anderen gewesen waren. Mit anderen Worten, ich stellte mir vor, das LSD werde wie ein Zugang von fünfhundert SF-Romanen auf einen Schlag sein: eine bewußtseinserweiternde Ladung von Bildkraft, Emotion, Fremdartigkeit und Versetzung in unfaßbare, unerkennbare Orte. Die Droge brauchte etwa eine Stunde, um zu wirken. Ich sah die Wände zerfließen und wogen, und von der Decke strömten Lichtkaskaden. Die Zeit geriet durcheinander und ich glaubte, daß drei Stunden vergangen seien, dabei waren es nur etwa zwölf Minuten. Holly war bei mir.
»Was fühlst du?« fragte sie. »Ist es mystisch?« Sie stellte oft solche Fragen.
»Ich weiß nicht«, sagte ich. »Es ist sehr hübsch, aber ich weiß einfach nicht recht.« Die Droge verlor in etwa sieben Stunden ihre Wirkung, aber mein Nervensystem war aufgeputscht, und hinter meinen Augen explodierten Lichter, wenn ich zu schlafen versuchte. Ich blieb also die ganze Nacht auf und las die beiden ›Sternenbrand‹-Romane von Marcus, bis es hell wurde.
Es gibt kein galaktisches Imperium. Es wird nie ein galaktisches Imperium geben. Alles ist Chaos. Alles ist willkürlich. Galaktische Imperien sind kindische Machtphantasien. Glaube ich das wirklich? Wenn nicht, warum sage ich es? Macht es mir Spaß, mich herabzusetzen?
»Sehen Sie, dort!« flüsterte der Mutant. Carter schaute hin. Eine ganze Ecke des Zimmers war verschwunden – weggeschmolzen, wie ausradiert. Carter konnte die Straße draußen sehen, den Verkehr, das Haus gegenüber. »Dort, sehen Sie!« sagte der Mutant. Der Stuhl war fort. »Schauen Sie!« Die Decke verschwand. »Da! Da! Da!« Carter spürte, wie sich alles um ihn drehte. Alles verschwand, auf den Befehl des unerbittlichen Mutanten mit seinen goldenen Augen. »Sehen Sie die Sterne?« fragte der Mutant. Er schnippte mit den Fingern. »Nein!« rief Carter. »Nicht!« Zu spät. Auch die Sterne waren verschwunden.
Manchmal gerate ich in das, was ich das Science-fictionErlebnis im Alltag nenne. Ich meine, ich kann an meinem Schreibtisch sitzen und einen Bericht tippen, oder in der U-Bahn stehen und auf das Ende der langen ermüdenden Fahrt warten, da spüre ich ein Surren, ein Stürmen, ein Aufwärtsschweben der Seele, vergleichbar mit dem, was ich bei dem LSD-Versuch gefühlt habe, und plötzlich sehe ich mich in einer völlig neuen Perspektive – als Besucher aus einer anderen Zeit, von einem anderen Ort, isoliert in einer Welt von fremden Wesen, die Erde genannt wird. Alles wirkt unvertraut und verwirrend. Ich habe dieses Gefühl der Verdoppelung, des dejá vu, als hätte ich von dieser U-Bahn in irgendeinem Science-fiction-Roman gelesen, als hätte ich dieses Büro in einer Fantasy-Geschichte beschrieben gesehen, weit entfernt, vor langer Zeit. Die wahre Welt wird so für zwanzig, dreißig Sekunden hintereinander zu etwas Sciencefictionhaftem für mich. Die Strukturen verschieben sich; das Grundgefüge wankt. Wenn mir das zugestoßen ist, denke ich manchmal, es sei aufregender, als zu erleben, wie beim Lesen eine Phantasiewelt ›Wirklichkeit‹ wird. Und manchmal glaube ich, daß ich vor dem Zusammenbruch stehe.
Während wir schliefen, hatte sich an Bord unseres riesigen Sternenschiffs eine Tragödie abgespielt. Unser Kapitän, unser Führer, unser Ratgeber seit zwei vollen Generationen, war in seinem Bett ermordet worden!
»Zeigen Sie es mir noch einmal!« sagte ich gepreßt, und Timothy hielt mir das Hologramm hin. Ja! Kein Zweifel! Ich konnte das Blut in seinem dichten, weißen Haar, ich konnte die erstarrte Maske der Qual auf seinem markanten Gesicht sehen. Tot! Der Kapitän war tot! »Was nun?« fragte ich. »Was wird geschehen?«
»Auf Deck E hat der Bürgerkrieg bereits begonnen«, sagte Timothy.
Vielleicht ist, was ich wirklich fürchte, nicht so sehr eine schwindelnde Vielfalt von Zukunftsmöglichkeiten, sondern vielmehr ihr Mangel. Endet das Universum, wenn ich es will? Nichts, Leere, die Negation, die uns alle erwartet, der Tunnel, der nicht überallhin, sondern nirgendshin führt – ist dies das einzige Ziel? Wenn es so ist, gibt es dann einen Grund, Angst zu haben? Weshalb sollte ich mich davor fürchten? Nicht-Sein ist Frieden. Unser Nada unser, der du im Nada bist, dein Name sei Nada, dein Reich nada, dein Wille sei nada, im
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