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Steinbock-Spiele

Steinbock-Spiele

Titel: Steinbock-Spiele Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Silverberg
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eines bestimmten Zwecks zu dienen. Dieser Distrikt breitet sich behaglich an einer Flußbiegung aus, jener erklettert kühn die Hänge nackter Berge; hier spiegelt die vorherrschende Architektur ein sanftes, angenehmes Klima, dort ringt sie mit der unfreundlichen Natur; die Form hält sich an die Topographie, an die örtliche Funktion, und erzeugt Individualität. Die Welt ist Reichtum: warum sehe ich nur zehntausend Ganfields?
    Natürlich ist es nicht so einfach. Wir sind gefangen in der Spannung zwischen Kräften, die Unterscheidbarkeit anregen, und Kräften, die alle Distrikte zur Gleichförmigkeit drängen. Zentrifugale Kräfte haben die riesigen alten Städte auseinandergebrochen, die Londons und Tokios und New Yorks, in Nachbargemeinschaften, die quasiautonome Macht ergriffen haben. Diese Riesenstädte waren zu schwerfällig, um zu überleben; die Bevölkerungsdichte, die Fernstreckentransport undurchführbar und Kommunikation schwierig machte, zersprengte das Stadtgefüge, zerstörte die Autorität der Zentralregierung und hinterließ die enggeschlossene Unterstadt in Kleinmaßstab als die einzig lebensfähige Einheit. Dann setzten sich zwei dynamische und widersprüchliche Prozesse durch. Stolz und der Drang nach lokalen Vorteilen führte jede Gemeinschaft in die Spezialisierung; hier ein Zentrum vorwiegend industrieller Produktion, dort das Hauptgewicht auf höherer Ausbildung, da die Verarbeitung von Rohstoffen, daneben Finanzierung, hier Dienstleistungen, da Einzelhandel, und so weiter; Form und Struktur jedes Distrikts wurden durch seine erwählte Funktion bestimmt. Und trotzdem verlangte die neue Dezentralisierung einen hohen Grad an Überfluß, an Verdoppelung von Regierungsstrukturen, an öffentlichen Diensten, an Bürokratien; zu seiner eigenen Sicherheit glaubte jeder Distrikt sich in einen Mikrokosmos der früheren Vollstadt verwandeln zu müssen. Idealerweise hätten wir im perfekten Gleichgewicht zwischen Spezialisierung und Vielfachkopie schweben müssen, alle Gemeinschaften bestrebt, die Bedürfnisse aller anderen Gemeinschaften mit der geringsten Überlappung und Verschwendung von Ressourcen zu erfüllen; in Wirklichkeit hat unsere menschliche Schwäche diese unwiderruflichen Strömungen von Rivalität und irrationaler Angst hervorgerufen, Distrikt von Distrikt getrennt, so daß wir gegen unser eigenes Interesse von Jahr zu Jahr unsere Bindungen wechselseitiger Abhängigkeit mehr durchtrennen und störrisch Selbstgenügsamkeit auf Distriktsebene suchen. Da das nicht möglich ist, verarmt unser Leben immer mehr. Am Ende werden alle Distrikte gleich sein, und wir werden eine Welt pathetisch hinkender Ganfields haben, ohne Grazie, ohne Vielfalt.
    So. Die U-Bahn hält. Das ist Conning Town. Ich habe die erste Distriktsgrenze überschritten. Ich gehe mit einer Reihe ernst blickender Pendler hinaus. Sie nachahmend, nähere ich mich einer riesigen Kameraanlage mit Zyklopenauge und zeige meinen Paß vor. Er enthält keine Visa; die anderen Pässe sind voll davon. Ich zittere, aber die Maschine akzeptiert mich und knallt einen Stempel herunter, der in schimmerndem, blutigem Rot auf der hellvioletten Seite leuchtet: ›Distrikt Conning Town
    Einreisevisum
    Gültig 24 Stunden‹
    Auf die Stunde, die Minute, die Sekunde datiert. Willkommen, Fremder, aber verschwinde aus der Stadt, bevor die Sonne aufgeht!
    Hinauf mit der surrenden Rampe, in die Straße hinaus. Greller Sonnenschein zwängt die schlanken, rußigen, eng beieinanderstehenden Türme von Conning Town auseinander. Die Luft ist kühl und duftend, fremdartig für mich nach so vielen schwülen Tagen im programmlosen, entmechanisierten Ganfield. Treibt unsere schlechte Luft über die Grenze und beleidigt sie? Mürrische Augen betrachten mich; die Leute um mich erkennen mich als Außenseiter. Ihre Kleidung ist fremdartig, eng an den Schultern, ausgestellt an den Hüften. Ich ertappe mich dabei, daß ich auf ihre unfreundlichen Blicke mit einem törichten Lächeln reagiere.
    Eine Stunde gehe ich ziellos durch die Innenstadt, bis meine erste Angst verblaßt und mich eine komische Keckheit überfällt: Ich bilde mir ein, daß ich ein Hiesiger sei, und ich genieße die durchsichtige Täuschung. Dieser Ort ist Ganfield nicht unähnlich, und doch ist nichts genauso. Die Gehsteige sind breiter; die Straßenlampen haben schlanke, gebogene Hälse, statt der eckigen; die Hydranten sind grün und golden gestrichen, nicht blau und orange. Die Polizeimaschinen

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