Steinbrück - Die Biografie
aller maßgeblichen Parteien. Steinbrück fühlt sich deshalb in bester Gesellschaft, wenn er die SPD als Freiheitspartei begreift, als »Partei der Moderne, der Emanzipation und des Fortschritts«, wie er sagt und eben nicht als »Partei der Zukunftsangst, Unmündigkeit und Verteidigung überholter Strukturen«. Nicht ohne Grund ist eines der letzten Kapitel in seinem Buch mit den drei eindringlichen Worten überschrieben: »Mehr Freiheit wagen!«
Den Mainstream in der SPD trifft er damit allerdings nicht, das weiß er, und darunter leidet er. Ebenso kränkt es ihn, wenn ihm nach über 40 Jahren Mitgliedschaft, Einsatz und Kampf für die Sache der Sozialdemokratie immer noch »mangelnder Stallgeruch« vorgeworfen wird. Ja, er ist kein Seelenstreichler wie Franz Müntefering, der es bei seinen Reden schon nach wenigen Sätzen schafft, den Genossen Wärme und Gewissheit zu vermitteln. Und es stimmt, er ist auch nicht über die Ochsentour vom Ortsverein zum Bundesvorstand politisch sozialisiert worden. Aber deshalb kein richtiger Sozi? Muss man Arbeiterkind sein und in kleinen Verhältnissen aufwachsen, um ein guter Sozialdemokrat zu werden? Steinbrück kann sich über solche engstirnigen Vorstellungen aufregen. Dann wäre einem Bürgersohn wie ihm der Weg zur SPD ja schon von Geburt an verstellt! Und überhaupt, was heißt denn »Stallgeruch«? Ja, er hat nie in einer Fabrik oder in einer Kohlenzeche gearbeitet, aber dafür als Student jede Menge Jobs gehabt, bei denen man auch Dreck fressen musste. Kistenstapeln am Hamburger Fischmarkt, Zuckersäcke schleppen oder Parkplatzwächter. Ist das nichts? Sind solche Erfahrungen weniger wert als drei Jahre Betriebsrat?
Und haben alle diejenigen, die ihm Distanz zur Partei vorwerfen, wirklich einmal seinen Lebensweg ernsthaft betrachtet? Er ist als junger Bundeswehrsoldat in die SPD eingetreten, hat drei SPD-Ministern als persönlicher Referent gedient, war bei Helmut Schmidt im Kanzleramt, arbeitete als Staatssekretär und Minister in mehreren SPD-Regierungen, war Ministerpräsident und stellvertretender Bundesvorsitzender. Was an diesem Lebensweg ist denn bitte schön nicht sozialdemokratisch?
Steinbrück schüttelt den Kopf. Es gebe halt sehr viele Klischees über ihn, die von den Medien immer wieder hervorgekramt und wiederholt würden, klagt er. Das mag stimmen, aber könnte es nicht sein, dass er auch wegen seiner politischen Positionen immer wieder aneckt? Dass er als Außenseiter wahrgenommen wird, der immer genau dort steht, wo die Mehrheit der SPD sich gerade nicht befindet? Er war für Studiengebühren, als die meisten Sozialdemokraten dagegen waren, und gegen die Ausbildungsplatzumlage, als eine Mehrheit sie forderte. Hat mit dem Spruch »Jeder Job ist besser als kein Job« die Gewerkschaften brüskiert und den Weg zu Kombilöhnen ebnen wollen, um nur einige Punkte zu nennen. Und schließlich kämpfte er wie kaum jemand außer Gerhard Schröder selbst für die Agenda 2010. Kann es nicht sein, dass er deshalb von seinen Gegnern als Widersacher kritisiert und beschimpft wird?
Steinbrück legt Wert auf den Unterschied zwischen Außenseiter und kritischer Distanz. Er hat sich immer mittendrin gesehen in der SPD – nie allerdings als reinen Parteigänger, sondern als jemand, der genau hinschaut und Dinge hinterfragt, wenn sie ihm nicht schlüssig erscheinen. Dass er, der intellektuelle Überflieger, diese politische Sezierarbeit oft mit verletzend scharfem Blick verrichtet, weckt Animositäten, das weiß er. Und manchmal ist er an dem Vorwurf, als arroganter Besserwisser in Erscheinung zu treten, auch nicht ganz unschuldig.
Einer, der in der SPD ähnlich wahrgenommen wurde, war Wolfgang Clement, der langjährige Freund von Peer Steinbrück. Nach seinem Ausscheiden aus der Bundesregierung 2005 profilierte sich der ehemalige Bundeswirtschaftsminister und NRW-Ministerpräsident in Artikeln und Interviews als harter Kritiker der eigenen Partei. Die Distanz zwischen ihm und der SPD war schon in seinen letzten aktiven Jahren beständig gewachsen, und 2003, auf dem SPD-Bundesparteitag in seiner Heimatstadt Bochum, bekam er prompt die Quittung. Bei den Wahlen zum stellvertretenden Parteivorsitz wurde er abgestraft: Nur 56,7 Prozent der Delegierten votierten für ihn. Eine furchtbare Demütigung für Clement. Steinbrück, obwohl selbst ein couragierter Kritiker, verfolgte die immer schärferen Angriffe seines Freundes auf die SPD mit zunehmender Sorge. Seit seinem
Weitere Kostenlose Bücher