Steinbrück - Die Biografie
die kalte Schulter zu zeigen. Noch deutlicher hingegen fiel die Enttäuschung der Manager über Brüderles Nachfolger aus. Philipp Rösler kämpfte als FDP-Chef vor allem um das Überleben seiner Partei und war daneben kaum in der Lage, in seinem Ressort politische Akzente im Sinne der Wirtschaft zu setzen.
Kein Wunder, dass schon zwei Jahre nach dem Start der bürgerlich-liberalen Regierung in den Umfragen zwei Drittel der deutschen Führungskräfte Schwarz-Gelb ablehnten und sich stattdessen eine Rückkehr der Großen Koalition wünschten. Auch BDI-Präsident Keitel sah die Anliegen der deutschen Wirtschaft zwischen 2005 und 2009 besser vertreten als in der schwarz-gelben Ära. Aus der Ministerriege von Schwarz-Rot schätzt er bis heute vor allem Peer Steinbrück und steht mit ihm in ständigem Kontakt. Ein Grund mehr, den populären Sozialdemokraten für diesen Kongress des BDI ebenfalls als Redner zu gewinnen.
Als Steinbrück nach der Mittagspause ans Mikrofon tritt, ist der Saal deutlich besser gefüllt als am Vormittag und von Langeweile keine Spur mehr. Die Wirtschaftsvertreter und die anderen Gäste scheinen neugierig auf ihn, und der »einfache Abgeordnete« ohne Amt wird wie ein Politstar behandelt. Der Moderator stellt ihn als »einen der beliebtesten Politiker in Deutschland« vor, was sogar stimmt, denn in jener Woche rangiert er auf der Liste der beliebtesten Politiker auf Platz zwei, gleich hinter dem Bundespräsidenten. »Wir glauben alle: Er wird noch eine Rolle spielen«, fügt der Moderator hinzu. Steinbrück nimmt es mit Ironie. »Sie machen mich so verlegen, dass ich fast sprachlos bin.« Allerdings nur fast. Denn Steinbrück hält eine geschliffene Rede, ohne Manuskript oder auch nur einen Zettel mit Stichworten. Fast eine Stunde lang spricht er zu den anwesenden Wirtschaftsvertretern. Er formuliert frei, pointiert und faktenreich. Was für ein Gegensatz zu den vorangegangenen Auftritten – jeder im Saal spürt das.
Keitel, der wieder in der ersten Reihe sitzt, schaut Steinbrück wohlwollend zu, nickt immer wieder und klatscht demonstrativ mit, wenn ein ums andere Mal Zwischenapplaus aufbrandet. Steinbrück redet den Wirtschaftsleuten im Saal nicht nach dem Mund, im Gegenteil. Aber jeder merkt, dass da einer mit großer Souveränität und Sachkenntnis vor ihnen steht.
Am Ende ruft er die Zuhörer leidenschaftlich dazu auf, keine Luftschlösser zu bauen und stattdessen die nüchterne Wirklichkeit zu erkennen: »Schminken Sie sich große Steuersenkungen von der Backe! Glauben Sie denen nicht, die das versprechen, sondern glauben Sie mir, denn ich verspreche Ihnen nichts.« Dass die SPD die Steuern für die oberen Einkommen nach 2013 sogar erhöhen will, gerät bei diesem leidenschaftlichen Schlussappell fast in Vergessenheit. Steinbrück erntet den größten Beifall des Tages, und BDI-Präsident Keitel eilt auf die Bühne, um ihm mit herzlichen Worten zu danken.
Was kaum einer weiß: Die beiden kennen sich schon viele Jahre. Als Steinbrück Ministerpräsident in Nordrhein-Westfalen war und Keitel Chef von Hochtief in Essen, haben sie einige Projekte gemeinsam durchgefochten. Manches wäre wohl am Widerstand der Grünen gescheitert, wenn Steinbrück nicht so entschieden für den Ausbau der Infrastruktur in NRW gekämpft hätte. Er hat seine Zusagen immer eingehalten, lobt Keitel im Rückblick. Schon damals habe er sich stets auf das Wort von Steinbrück verlassen können. Dass so etwas in der Politik eher die Ausnahme als die Regel darstellt, hat der damalige Baumanager in seinem Berufsleben mehr als einmal erfahren.
Keitel hält also viel von Steinbrück, wenngleich er das mit Rücksicht auf seine überparteiliche Position beim BDI nicht so offen zu Markte trägt. Steinbrücks große politische Erfahrung in vielen Ämtern, seine extrem schnelle Auffassungsgabe und seine pragmatische, zielorientierte Art, Politik zu gestalten, gefallen dem Industrieboss. Das gilt ebenso für die Souveränität, mit der Steinbrück auftritt. Keitel persönlich hätte kein Problem mit einem Kanzlerkandidaten Steinbrück, aber auch das sagt er nicht offen. Zwar hat er einiges an den Vorstellungen der SPD auszusetzen – natürlich die beabsichtigte »Reichensteuer« –, aber andere Positionen wie zum Beispiel das industriepolitische Papier der SPD stoßen beim BDI durchaus auf Wohlwollen.
Trotzdem würden weder Keitel noch sein Verband im Wahlkampf jemals Empfehlungen für eine einzelne Partei oder für einen
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