Steinbrück - Die Biografie
strategisch denkt: Es gibt nämlich nicht wenige innerhalb der SPD, die in der Düsseldorfer Regierungschefin die künftige und wohl auch aussichtsreichste Herausforderin von Angela Merkel sehen. Im Gegensatz zu den drei Herren der Troika hat die gebürtige Mülheimerin immerhin schon zwei sehr wichtige Wahlen gewonnen. Wer das bevölkerungsreichste Bundesland regiert, dem könne man getrost ganz Deutschland anvertrauen, meinen ihre Anhänger. Innerparteilich verfügt sie als Vorsitzende des mit Abstand größten SPD-Landesverbands ebenfalls über erheblichen Einfluss – bei den Bundesparteitagen der SPD stammt nahezu die Hälfte der Delegierten aus Nordrhein-Westfalen.
Bislang hat Kraft die zahlreichen Avancen ihrer Partei in Richtung Berlin immer standhaft zurückgewiesen. Zumindest für dieses Mal will sie gerne den drei Herren den Vortritt lassen und sich erst einmal in Ruhe um ihr Bundesland kümmern. Sie hat mit ihren gerade einmal 51 Jahren keinen Grund zur Eile und muss nicht bereits 2013 den Spitzenplatz bei einer Wahl beanspruchen, von der die meisten ohnehin glauben, dass sie mit einer Großen Koalition unter Führung der CDU und der bisherigen Kanzlerin Angela Merkel enden wird. Die Genossin Hannelore kann bis 2017 warten. Dann haben die beiden »Stones« ihr Gewicht und Angela Merkel womöglich ihre Strahlkraft verloren. Und sie, die erfolgreiche Landesmutter, wäre mit 55 Jahren immer noch im besten Kanzlerinnenalter.
Kapitel 17
König von Deutschland
I nmitten der hoch aufragenden Neubauten am Potsdamer Platz in Berlin steht fast etwas versteckt zwischen gläsernen Bürotürmen und funkelnden Einkaufspassagen ein einzelnes altes Gebäude aus grauem Sandstein. Hier im Weinhaus Huth trafen sich im Berlin der goldenen Zwanzigerjahre die besseren Kreise der Stadt zum Essen oder zu feierlichen Anlässen.
Heute ist in dem sorgfältig restaurierten Altbau die Hauptstadtrepräsentanz der Daimler AG untergebracht. Der Autohersteller lädt hier inmitten von Kunstwerken und edlem Mobiliar regelmäßig ausgesuchte Wirtschaftsvertreter und Diplomaten zu einem politischen Mittagessen ein. Jeweils ein prominenter Gastredner spricht bei diesen Treffen zu aktuellen Themen und stellt sich anschließend der Diskussion. Über die Inhalte des Meinungsaustauschs wird Verschwiegenheit bewahrt, denn absolute Diskretion gilt als oberstes Gebot. Nur so kann im medial aufgeheizten Berlin offen über politische Pläne und vor allem über Streitfragen und Interessenskonflikte zwischen Wirtschaft und Politik gesprochen werden.
Ende April 2012 hieß der »Lunch-Speaker« Peer Steinbrück. Martin Jäger, Chef der Daimler-Repräsentanz und früher Pressesprecher des Außenministers Frank-Walter Steinmeier, konnte sich über einen vollbesetzten Saal freuen. Das Interesse der Wirtschaftsleute und Diplomaten an dem potenziellen Kanzlerkandidaten der SPD war riesig, zumal man diesem Sozialdemokraten sogar in Unternehmenskreisen so einiges zutraut. Unter den Zuhörern bestand weitgehend Einigkeit über Steinbrücks Perspektiven: »Mit dem muss man rechnen.«
Für ihn selbst war die Diskussion an diesem Mittag reine Routinesache. Schließlich tritt er als Kandidat im Wartestand fast täglich in solchen Runden auf. Er redet landauf, landab vor Industrie- und Handelskammern, auf Konferenzen von Bankern, auf Verbandstreffen oder bei Unternehmensfeiern. Einen Tag nach dem Lunchtermin in der Daimler-Repräsentanz beispielsweise sprach er vor dem Berliner Presseclub. Dass sich seine Reden dabei nicht jedes Mal völlig voneinander unterscheiden, ist klar. Selbst ein rhetorischer Routinier wie Steinbrück kann nicht täglich die Welt neu erfinden.
Wenn man ihm allerdings über die letzten Monate hinweg regelmäßig zugehört hat, fällt auf, dass er inzwischen häufiger variiert und neue Themen ausprobiert. Noch 2011 bestand der Löwenanteil seiner Reden aus einer mit hanseatischem Understatement temperierten Darbietung des Heldenstücks »Wie ich die Finanzkrise meisterte«. Mittlerweile versucht Steinbrück jedoch neben dem finanzpolitischen Teil zunehmend soziale und gesellschaftliche Fragen in seine Reden einzuflechten. Man kann darin durchaus den Versuch sehen, die Akzeptanz von jenen Vorschlägen und Ideen zu testen, die mit hoher Wahrscheinlichkeit wesentliche Bestandteile des künftigen SPD-Wahlprogramms sein werden.
Steinbrück wandelt dabei auf einem schmalen Grat. Wenn es nur nach ihm ginge, wäre das Wahlprogramm für seine
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