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Steinbrück - Die Biografie

Steinbrück - Die Biografie

Titel: Steinbrück - Die Biografie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Goffart
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dann die Gefahr, dass die psychologisch so wichtige Garantie für die Sparer nicht als gemeinsames Signal der Regierung verstanden werde.
    Steinbrück bestätigte die Ereignisse später in einem Interview: »Es ging ein bisschen hin und her an diesem Tag. Es stimmt, dass Merkel erst alleine vor die Kameras treten wollte. Aber dann hat ihr, wie ich glaube, der damalige Regierungssprecher Ulrich Wilhelm nahegebracht, dass sie in dieser Situation den Finanzminister mit vor die Kamera nehmen muss. Der gesamte Effekt wäre verpufft, wenn wir die Erklärung zu einer Koalitionsfrage gemacht hätten. Für solche Argumente war Frau Merkel durchaus empfänglich. Es dauerte vielleicht fünf Minuten, dann war klar, dass wir das gemeinsam machen« ( Der Spiegel , 37/2010).
    Es war ein Drahtseilakt, aber er gelang. Der Sturm auf die Banken blieb aus, die Deutschen bewahrten die Ruhe und ließen ihr Geld auf den Konten. Details zu der kühn verkündeten staatlichen Sparergarantie sollte es nie geben – und waren überdies nie geplant. Zur Wahrheit gehört nämlich, dass Merkel und Steinbrück sich nicht vollständig über die Konsequenzen im Klaren waren. »Wir wussten, dass wir uns auf dünnem Eis bewegen«, räumte Steinbrück später ein. Man kann es auch anders ausdrücken: Für eine solche Zusage fehlte der Kanzlerin und dem Finanzminister schlicht die Legitimation. »Es gab keine Rechtsgrundlage und keinen parlamentarischen Rückhalt«, gestand Steinbrück. »Ich wundere mich bis zum heutigen Tag, dass die Parlamentarier hinterher nie gefragt haben: Um Gottes willen, was habt ihr da eigentlich gemacht?«
    Dennoch wäre die Bundesregierung im Ernstfall zur Zahlung verpflichtet gewesen. »Wir hätten dann das Parlament um die Bewilligung entsprechender Mittel bitten müssen. Hätten wir in solch einem Fall nicht zu unserer Zusage gestanden, wäre die Republik in ein Chaos gestürzt.«
    Über den »Wert« der Garantie ist oft gestritten worden. Vom Girokonto über das Sparbuch bis zum Festgeld sollte alles gesichert sein – für Aktienfonds, Immobilienfonds oder Inhaberverschreibungen privater Banken hätte die Garantie dagegen nicht gegolten. Für welchen maximalen Betrag die Bundesregierung über die gesetzliche und freiwillige Einlagensicherung hinaus hätte bürgen müssen, vermochte an dem denkwürdigen Sonntag niemand zu beziffern. Spätere Schätzungen gingen von Spareinlagen zwischen 600 bis 1000 Milliarden Euro aus. Das hätte die Bundesregierung im Fall der Fälle kaum bezahlen können. Zum Glück kam es nie dazu.
    Obwohl die spontane Garantie für die Sparer Wirkung zeigte, war die Stimmung in Deutschland labil wie selten zuvor. Nach der Pleite der US-Investmentbank Lehman Brothers am 15. September 2008 erlebten die Börsen weltweit einen Sturz ins Bodenlose. Der US-Versicherungskonzern AIG wackelte ebenfalls bedenklich, und die Finanzminister der westlichen Staaten bestürmten ihren US-Kollegen Henry Paulson in einer konzertierten Telefonaktion, nicht auch noch den Assekuranzriesen fallen zu lassen. Das Weltfinanzsystem stand unmittelbar vor dem endgültigen Zusammenbruch. »Wäre AIG pleitegegangen, hätte der Finanzsektor einen Schmelzpunkt erreicht«, erinnerte sich Steinbrück später mit Schaudern an die damalige Lage. »In der Tat: Die Welt stand an einem Abgrund« ( Der Spiegel , 37/2010). Schon das Ende von Lehman Brothers hatte ein globales Erdbeben ausgelöst. Was würde erst passieren, wenn der größte Versicherungskonzern der Welt zusammenbrach? »Wenn AIG fällt, droht der GAU, das haben wir unserem US-Kollegen jenseits von diplomatischen Gepflogenheiten zu vermitteln versucht«, schilderte Steinbrück die dramatischsten Stunden während der transatlantischen Telefonkonferenzen.
    AIG wurde schließlich mit vielen Milliarden Dollar gerettet – dennoch blieben die Börsen auf Talfahrt. Niemand hatte mit dieser zerstörerischen Dynamik gerechnet. Der Internationale Währungsfonds IWF schätzte bereits Ende September 2008 den weltweiten Verlust durch die Finanzkrise auf 1,4 Billionen Dollar. Und das sollte erst der Anfang sein. Nicht nur das Vertrauen der Anleger wurde erschüttert, sondern ebenso sank der Glaube der Bürger an die Marktwirtschaft auf einen Tiefpunkt. In Großbritannien, dem Mutterland des Kapitalismus, wurden die größten Geschäftsbanken zum Teil verstaatlicht. Die US-Notenbank warf alle geldpolitischen Grundsätze über Bord und gewährte bedrohten systemrelevanten Unternehmen wie

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