Steine der Macht - Band 4
Bergstraße am Obersalzberg ein. Nach wenigen Minuten erreichten sie den Gasthof.
„Es ist so warm heute, da könnten wir doch im Freien auf der Terrasse sitzen“, überlegte Linda.
„Ich möchte dir aber etwas zeigen“, antwortete Wolf, „was ich nur drinnen in der Gaststube kann.“
Er führte sie ganz nach hinten in die letzte Gaststube. Da die meisten Gäste draußen auf der Terrasse saßen, waren Wolf und Linda somit ganz alleine in der kleinen, alten Stube.
Anton, der Wirt, brachte die Speisenkarte und für Wolf ein Glas Bier, während Linda einen Apfelsaft bekam.
„Siehst du“, begann er, „hier an diesem Tisch ist Hitler damals gesessen und dort in der Ecke daneben hatten seine Schäferhunde ihren Platz.“
„Woher weißt du das?“, wunderte sich Linda.
„Anton, so heißt hier der Wirt, hat mir das alles im Vorjahr erzählt. Die wenigsten Touristen wissen davon. Er verrät das jedoch nicht allen Leuten, denn er will sein Gasthaus nicht zu einer Pilgerstätte machen.“
„Ja, wenn das damals anders gewesen wäre und nicht diese Juden Deportationen stattgefunden hätten, vielleicht sähe die Welt heute anders aus und dieser Tisch hier stünde in einem Staatsmuseum?“
„Und weil es eben nicht so ist, deshalb sitzen nur wir hier und können das Essen genießen“, erwiderte Wolf lachend.
„Denke doch nicht nur an das Essen, wenn ich mit dir über ernste Dinge spreche“, schimpfte Linda und warf Wolf einen finsteren Blick zu.
Dieser überlegte eine Weile und schaute dabei nachdenklich aus dem Fenster, als würde er die herrliche Aussicht auf die Stadt Berchtesgaden, welche tief unter ihnen lag, genießen. Die Kellnerin kam herein, um die Bestellung aufzunehmen. Wolf suchte sich wirklich nur eine kleine Portion vom Schweinebraten aus und Linda nahm das „Hochlenzer Schnitzel“.
Dann begann er:
„Ich werde dir jetzt etwas erzählen, was mir zu diesem Judendilemma eingefallen ist:
Als ich vor einigen Jahren mit Alexandra, meiner jüngeren Tochter, für ein paar Tage in New York war, haben wir dort auch das Judenviertel besucht. Wir schlenderten durch die Orchard Street, in der sich zahllose Geschäfte von Juden befanden, die dort ihre Waren feilboten. Eine interessante Erfahrung, denn diese orthodoxen Juden redeten jiddisch, eine Sprache, die der unseren deutschen Sprache sehr ähnlich ist und die wir zum Großteil auch verstanden haben. Ich wollte mir damals ein paar Clip-Krawatten kaufen und wir wurden in die nahe Allen Street geschickt. Da wäre ein jüdisches Geschäft, das solche Clip-Krawatten führen sollte. Rasch fanden wir den eher kleinen Laden. Ein alter Mann und seine etwas jüngere Frau standen hinter dem Verkaufspult. Die Auswahl an diesen speziellen Krawatten war recht groß und ich hatte Mühe, zehn Stück davon auszuwählen. Die Wahl fiel mir nicht leicht, denn sie waren alle recht schön. Ganz nebenbei kamen wir mit dem alten Mann, der recht gut Deutsch sprach, ins Reden.
Woher wir kämen, fragte er, und als er Salzburg hörte, schaute er mich mit großen Augen an und sprach: „Salzburg! Salzburg, das ist für mich die schönste Stadt der Welt.“
Ich wusste, dass viele Leute die Stadt Salzburg recht schön fanden. Aber weshalb dieser Mann es als die schönste Stadt der Welt bezeichnete, konnte ich mir nicht erklären. Ich fragte ihn daher nach dem Grund.“
Wolf tat einen tiefen Zug von seinem Bier, wischte sich wohlig aufseufzend mit dem Handrücken den Schaum vom Mund und fuhr fort: „Der Alte ließ nachdenklich erst einige Minuten verstreichen, dann holte er geräuschvoll Luft und vertraute sich uns an: ‚Ich war neunzehn Jahre alt und schon seit Tagen unterwegs in einem Güterwaggon. Wir wurden aus Siebenbürgen in Rumänien deportiert und sollten nach Auschwitz gebracht werden. Es gab nur Gerüchte, was dort mit uns geschehen sollte. Keiner ist jemals von dort wieder zurückgekommen. Plötzlich stoppte der Zug und wir vernahmen laute Explosionen in unmittelbarer Nähe. Der ganze Waggon wurde dabei durchgeschüttelt. Irgendjemand öffnete damals die Türe von außen und wir konnten ins Freie. Wir standen in einem Bahnhof, ich konnte ein großes Schild lesen: „Salzburg“.
Überall ringsum stiegen Rauchsäulen empor. Es gab einen Bombenangriff der Alliierten, wir konnten die Flugzeuge über uns kreisen sehen. Andauernd erfolgten neue Explosionen. Das dumpfe Dröhnen der Flugzeugmotoren, das Pfeifen und Detonieren der Bomben, ich kann es heute nach so
Weitere Kostenlose Bücher