Steine der Macht - Band 4
vielen Jahren noch hören, rief bei mir Todesängste hervor. Ich rannte los und konnte zwischen den Rauchschwaden in der Ferne einen großen, hohen Berg sehen. Wie ich später erfuhr, nannte man ihn „Untersberg.“ Pausenlos ertönte das Feuern der Flugabwehr Kanonen. Irgendwie gelang es mir, zwischen eingestürzten Häusern und Schutthaufen dem Inferno, welches sich auf den Bahnhof der Stadt zu konzentrieren schien, zu entkommen. Ich schlug mich bis zum Fuß dieses Untersberges durch. Dort erstreckten sich ausgedehnte Felder und viele Bauernhöfe. Bei einem von diesen konnte ich mich verstecken. Die Bauersleute hatten Arbeit für mich und ich bekam dafür zu essen. Sie waren alle recht hilfsbereit und sie meinten, dass der Krieg ohnehin in ein paar Wochen vorbei sein würde. So war es dann auch. Als der Winter vorüber war und der Frühling kam, marschierten die US-Truppen in Salzburg ein und ich war damit gerettet. Erst da erfuhr ich, dass unser Transport in ein Vernichtungslager geführt hätte und keiner von uns am Leben geblieben wäre. Ich bekam Ausreisepapiere in die Vereinigten Staaten und nach wenigen Wochen war ich bereits auf einem Schiff in meine neue Heimat.
Nach der Ankunft blieb ich hier in New York und baute mit im Laufe der Jahre dieses kleine Geschäft mit den Krawatten auf. Ich hätte nie gedacht, dass mich einmal jemand aus Salzburg besuchen kommen würde.
Verstehen Sie jetzt, weshalb für mich Salzburg die schönste Stadt der Welt ist?
Und ihr seid die erste Kundschaft aus Salzburg, die je in mein Geschäft gekommen ist. Das freut mich besonders.‘
Dem alten Mann standen die Tränen in den Augen. Er kam zu mir, umarmte mich und sagte: „Gott möge Sie segnen, grüßen Sie mir Salzburg.“
Auch wir beide waren sehr gerührt über das, was uns dieser alte Jude da erzählt hatte. Ich fragte ihn, weshalb er so nett zu uns war, wo wir für ihn doch die Nachkommen derjenigen sein müssten, die ihn einst in den Tod geschickt hätten. „Das seid ihr doch auf keinen Fall, ihr kommt aus Austria oder Germany, was soll euch für eine Schuld treffen? Die wahren Schuldigen sind schon fast alle gestorben, aber die waren ganz woanders zu suchen, glaubt mir!“
Solche Worte aus dem Mund eines Juden! Eines Juden, der selbst beinahe Opfer dieses Verbrechens im Zweiten Weltkrieg geworden war. Das erschütterte mich zutiefst. Wir hörten doch bislang bei uns zu Hause immer von den Medien, dass wir Wiedergutmachung zu leisten hätten und alles, was an diese Zeit damals erinnerte, unter sogenannte Verbotsgesetze fiel.
Mittlerweile war auch Benjamin, der zwanzigjährige Sohn des Alten, zur Tür hereingekommen. Auch er begrüßte uns und erzählte auf Englisch von den Geschichten, die er von seinem Vater gehört hatte. Er selbst war noch nie in Europa gewesen, aber er hatte da seine eigene Theorie über die Juden Deportationen im Dritten Reich. Freilich hatten die Deutschen im Endeffekt das alles getan und Schuld auf sich geladen, die wahren Initiatoren dieses fürchterlichen Verbrechens wären aber ganz woanders zu suchen, meinte auch Benjamin. Und diese bekämen auch heute noch viel Geld dafür und nur darum ginge es, meinte der junge Jude.
Wieder wunderte ich mich. So etwas hatte ich noch nicht einmal hier bei uns in Österreich gehört. Auch meine Tochter war irgendwie irritiert. Ihr wurde ja bereits in ihrer Schulzeit etwas anderes eingetrichtert. Alexandra und Benjamin tauschten ihre Adressen aus, sie wollten sich schreiben. Ich nahm mein Paket mit den Clip-Krawatten und wir verabschiedeten uns.
Einige Jahre später besuchte ich den Juden noch einmal, da erzählte er mir wieder einige Einzelheiten von seiner Zeit in Salzburg.“
Die Kellnerin brachte die Speisen herein.
Linda hatte aufmerksam zugehört. Sie schien ebenfalls gerührt zu sein von der Geschichte des alten Juden. Bevor sie zu essen begann, meinte sie:
„Es wäre wirklich interessant, auch in anderen Ländern die Meinungen zu diesem Thema zu hören. Wir kennen ja nur das, was uns laufend vorgesetzt wird, und nicht mehr. Möglicherweise gibt es ja auch noch eine andere Wahrheit. Wer weiß?“
„Dazu könnten wir zur Abwechslung einmal den General befragen“, sagte Wolf, „der hat bestimmt seine eigene Meinung über das, was die Juden betrifft, das haben wir doch bereits im Hotel Interconti bei unserem Treffen vor zwei Jahren erlebt.“
Linda entgegnete: „Es könnte aber sein, dass er um die Hintergründe, wie das Ganze
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