Steine der Macht (German Edition)
nach, dieser stramme Schritt und diese fast schon militärische Antwort beeindruckten sie irgendwie. So stellte sie sich einen SS-Mann vor. Sie konnte aber nicht ahnen, wie recht sie mit Ihrer Vorstellung hatte.
Die vier stiegen über steile Treppen, vorbei an Maschinengewehr-Ständen, tief in die Bunkeranlage hi-nunter. Still bestaunten die zwei Gäste aus dem Dritten Reich die unterirdischen Gänge und Räume. Sie sollten so wenig als möglich sprechen, um durch ihre doch etwas unzeitgemäße, militärische Ausdrucksweise nicht unnötig aufzufallen. Auf keinen Fall dürften sie mit dem Hitlergruß, mit der ausgestreckten, rechten Hand, grüßen. Das konnte für sie alle massive Schwierigkeiten bedeuten. Als sie nach einer halben Stunde wieder nach oben ans Tageslicht kamen, wirkten Kammler und Weber doch etwas verstört. Keine Wachen, alles offen – so etwas war für die zwei fast unvorstellbar. Anschließend fuhren sie mit dem Wagen weiter den Obersalzberg hinauf.
Dort, wo früher die SS-Kaserne mit der Wagenhalle gestanden hatte, sah Kammler erstaunt nur noch einen riesigen, leeren Platz.
Auf dem Hügel, auf welchem sich früher das Landhaus von Reichsfeldmarschall Göring befunden hatte, konnten sich die zwei Männer nun den prachtvollen Bau des Interconti Hotels ansehen. Wolf wollte ihnen das Gebäude auch von innen zeigen und sie stellten den Wagen am Parkplatz vor dem Hotel ab.
Kammler und Weber waren über die moderne Architektur dieses schönen Hotels sichtlich erstaunt. Sie gingen an die Bar und setzten sich an einen Tisch. Wolf bestellte vier Whiskys on the Rocks und der General hielt sich seine am Tisch aufgestützten Hände vor den Kopf, als würde er das alles nicht begreifen. Am Nachbartisch saßen zwei gut gekleidete Herren und unterbrachen ihre Unterhaltung, als sie die hilflose Gebärde von General Kammler sahen. „Kann ich Ihnen irgendwie helfen, ist Ihnen nicht gut?“, fragte einer der beiden. „Ich bin Arzt, haben Sie Beschwerden?“ „Nein danke, es geht schon wieder“, meinte Kammler, „ich habe bloß Kopfschmerzen.“ „Dann nehmen Sie das hier“, sagte der Mann am Nebentisch, „dann wird es gleich besser.“ Er reichte Kammler eine Aspirin--Tablette und ersuchte den Kellner um ein Glas Wasser für den General. „Sind Sie von Norddeutschland, ich meine wegen Ihrer Aussprache? Macht Ihnen etwa die Höhenluft zu schaffen?“
„Ja, das heißt, eigentlich nein, aber wie dem auch sei, es geht mir schon wieder besser, mein Name ist Kammler, ich danke Ihnen sehr“, stellte sich der General vor.
„Sehr angenehm, Ariel Eichenblau, ich bin auch aus dem Norden Deutschlands, mein Großvater Arthur Eichenblau hatte früher hier am Obersalzberg ein Haus, ein Stückchen weiter unten, direkt neben dem Berghof von Hitler. Er war übrigens der Erfinder des Aspirins, welches ich Ihnen gerade gegeben habe. Er hat das Konzentrationslager überlebt, in das ihn diese schrecklichen SS-Leute gebracht haben.“
Der General schien innerlich zu kochen. Ein Jude also saß da am Nachbartisch und von dem hatte er soeben eine Tablette Aspirin angenommen. Sein Weltbild geriet aus den Fugen.
Wolf und Linda tauschten schweigend einen vielsagenden Blick aus. „Wir sollten nun gehen, wir haben heute noch viel vor“, sagte Wolf, der bereits fürchtete, dass die Situation eskalieren könnte, und bedeutete dem Kellner, dass er nun zahlen wollte.
„Unvorstellbar so etwas, Juden hier im Führersperrbezirk!“
Kammler war immer noch außer sich, als er am Parkplatz in Wolfs Wagen einstieg. Er empfand das soeben Erlebte als pure Blasphemie.
Nun sollte den Gästen aus der Vergangenheit noch das Dokumentationszentrum des Obersalzberges gezeigt werden. Kammler und Weber schauderten, als sie dieses neu errichtete Gebäude betraten. Zu viel erkannten sie auf den zahlreichen Fotos und Dokumenten wieder. Der General musste sich sichtlich zusammennehmen, um nicht über die ihm absolut falsch vorkommende Darstellung der Geschehnisse im Dritten Reich laut zu schimpfen.
„Ich möchte ja gar nicht bestreiten, dass es im Reich diese Vernichtungslager gegeben hat. Natürlich gab es die! Die wenigsten haben davon gewusst. Aber diese Lager gab es nicht nur bei uns, auch die Gegenseite eliminierte für sie unbrauchbare Individuen. Von den Hunderttausenden Polen, welche Stalin in einer Säuberungsaktion 1940 liquidieren ließ, steht hier nichts.
Männer der Waffen-SS waren dabei, als vor zwei Jahren – ich meine
Weitere Kostenlose Bücher