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Steinfest, Heinrich

Steinfest, Heinrich

Titel: Steinfest, Heinrich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wo die Löwen weinen
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machtvoll abzusichern. Etwas, was man ansonsten nur aus Torture- und
Splatterfilmen kannte.
    Vor kurzem noch hätte Tobik angesichts der Entwicklungen -
auch angesichts diverser Pressemeldungen, die ständig versuchten, die Zahl der
Gegner kleinzurechnen oder kleinzureden oder Dinge zu relativieren, die sich
nicht relativieren ließen -, da hätte er noch eine quälende Ohnmacht und Wut
verspürt, eine Flamme in seinem Inneren, die nicht wärmt, aber die Luft
verschlingt. Jetzt war das anders. Er blieb völlig gelassen, sah sich
regungslos die Berichte an, auch die Mails seiner Freunde aus der Bezugsgruppe.
Er antwortete brav zurück, er sei auf dem Lande und kehre Anfang der Woche
zurück in die Stadt. Bei der nächsten Montagsdemo sei er dabei. Er schloß
diesen Mails die nicht mehr wegzudenkende Grußformel der Gegner an: "Oben
bleiben!" - Er fand den Spruch ziemlich kindisch, aber er fand ja auch "Grüß
Gott!" ziemlich kindisch. Dennoch benutzte er beides. Das gehörte dazu,
war Teil seiner Tarnung.
     
    Apropos ziemlich kindisch. Es stimmt, daß auch die
Projektbefürworter mit augenfälliger Verspätung, solcherart quasi einen Spätstart
hinlegend, es im Herbst darauf endlich schafften, ihrerseits Truppen auf die
Straße zu bringen. Eine Verspätung, die sie mittels ungewollter Selbstironie
ausglichen, indem sie diese "Pro"ler nicht bloß als eine von einem
Werbebüro konzipierte "unheimliche", mit Fackeln ausgestattete
Sportgruppe aufmarschieren ließen, sondern zudem die Losung "Oben ohne!"
entwickelten.
    Es stimmt aber auch, daß diese Parole nicht nur einen
peinlichen sexuellen Bezug herstellte und nicht nur an den Begriff der Kopflosigkeit,
ja sogar an den noch schöneren der Imbezillität gemahnte, sondern ganz
grundsätzlich an eine Person erinnerte, die von jemandem abschreibt, aber halt
leider falsch abschreibt.
    Zur Erklärung: Imbezillität wird in dem vom einstmaligen
Klagenfurter Polizeidirektor Doktor Karl Luggauer verfaßten Buch Juristenlatein folgendermaßen definiert: "Leichtere Form der Idiotie. Schwachsinn,
der die Zurechnungsfähigkeit nicht immer ausschließt, jedoch die
Verantwortlichkeit mindert. Die Intelligenz erreicht nicht den Grad, welcher zu
Beginn der Pubertät durchschnittlich vorhanden ist." - Hm! Sollte dies
tatsächlich später einmal die Frage sein, wenn es darum gehen würde, Baumtöter
und Denkmalzerstörer zur Verantwortung zu ziehen? Die Frage nach der großen
Spanne zwischen Zurechnungsfähigkeit und ihren diversen Minderungen?
     
    Kopfschuß
     
    Rosenblüt reichte seinem Gegenüber die Hand.
    "Schön, Sie wiederzusehen", sagte Doktor Thiel.
    "Das meinen Sie jetzt aber nicht ernst, oder?"
    "Die Umstände sind ungünstig, das stimmt",
gestand Rosenblüts unnahbarer, misanthropischer Assistent aus Stuttgarter
Tagen, der zwischenzeitlich zum Dezernatsleiter der Abteilung für Organisierte
Kriminalität aufgestiegen war. "Trotzdem freue ich mich. Ich habe darauf
bestanden, daß man Sie herholt. Vorher habe ich mit Teska Landau gesprochen.
Sie meinte, Sie könnten uns vielleicht bei der Sache unterstützen."
    "Die Stadt will allen Ernstes meine Hilfe?"
    "Nicht die Stadt, die Polizei", präzisierte
Doktor Thiel, der in den vergangenen Jahren noch dünner geworden war, auch
größer, wie es schien, aber das war natürlich eine aus seiner Knöchrigkeit und
Hohlwangigkeit, aus seiner medikamentösen Erscheinung resultierende optische
Täuschung.
     
    Es hatte Rosenblüt zu Recht verblüfft, ein weiteres Mal
nach Stuttgart gerufen zu werden. Schließlich war er vier Wochen zuvor schon in
der Stadt gewesen, um Licht in die Uhl-Geschichte zu bringen. Was ihm insofern
gelungen war, als er auf die Adiuncten, auf einen Ort, wo die
Löwen weinen, gestoßen war und eine mögliche Verbindung zu Sami
Aydin erkannt hatte, dem Mann, der bei seinem Münchner Cousin die
Einschüchterung Uhls in Auftrag gegeben hatte. Doch bereits einen Tag nach
Rosenblüts Besuch am Stammsitz der Adiuncten war aus dem Münchner
Polizeipräsidium die Weisung gekommen, Rosenblüt möge ab sofort diplomatisch
vorgehen und sich mit Verdächtigungen gegen renommierte Bürger der Stadt
zurückhalten. Es könne sonst der Eindruck entstehen, seine, Rosenblüts,
Ermittlungen seien allein geprägt von Rachegefühlen gegen jene Stadtoberen,
die ihn einst expediert hatten. - Natürlich hatte Rosenblüt seiner Chefin
erklärt: "Es war doch Ihre verdammte
Idee, mich zu diesen Bantu-Negern zu schicken." Sie hatte

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