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Steinfest, Heinrich

Steinfest, Heinrich

Titel: Steinfest, Heinrich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wo die Löwen weinen
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erwidert: "Kein
Grund, wie ein Elefant in den Gärten geachteter Burschenschaften
herumzutrampeln. Reißen Sie sich zusammen!" Nun, er wußte ganz gut, daß
Frau Doktor Procher mitnichten zu den Freunden schlagender Verbindungen
zählte, aber offensichtlich war man auch ihr auf die Zehen getreten. Und auf
ihre Zehen gab die Dame acht.
    Rosenblüt war nach dieser deutlichen Bremsung noch einige
Tage in der Stadt geblieben und hatte sich in erster Linie mit dem
Stuttgart-21-Projekt beschäftigt, das ganz offensichtlich um jeden Preis - in
jeder Hinsicht um jeden Preis - durchgedrückt werden sollte. Ein paar Monate
zuvor war eine Art bautechnischer Kampftrupp aus Berlin mit einem bewährten
Tunnelbauer an der Spitze in die sogenannte Schwabenmetropole geholt worden.
Fast die gesamte Planungsmannschaft war ausgewechselt worden, um die angepeilte
Verwirklichung der Baumaßnahmen mehr ins Militärische zu verlagern, sich
gleichzeitig jedoch der Zahlenmagie zu bedienen und so die steigenden Kosten
rechnerisch zur Umkehr zu zwingen. - Denn wo die Ingenieurskunst am Ende ist,
beginnt die Kunst des Jonglierens, verschleiern ist etwas anderes. Aber fürs
Verschleiern war es zu spät. Es war somit keine verschlüsselte, raffinierte
Zahlenmagie, sondern eine offene Magie in der Art versetzter Kommastellen.
Freilich war das nichts, was Rosenblüt zu wundern brauchte.
    Sehr wohl hingegen verwunderte der Widerstand der als
verschlafen verschrienen Stuttgarter Bürger, die da vor ihrem Bahnhof demonstrierten.
Einem Bahnhof, der allmählich eine Zuwendung erfuhr, als sitze in einem jeden
seiner von Hand behauenen Muschelkalksteine das einbalsamierte Herz eines
Schutzheiligen. Jedenfalls nahm die Zahl der Protestierenden merklich zu. Kaum
ein Tag ohne Aufbegehren. Und um so häufiger kolportiert wurde, es handle sich
um "linkes Gesocks" und "linke Agitation", um so größer die
Beteiligung von Leuten, deren bürgerliche und wertkonservative Haltung aussah
wie auf die Stirn gebrannt. Die Polizei erkannte das und fühlte sich gar nicht
wohl dabei.
    Passend zu Rosenblüts Theorie, wie sehr ein Gutachten Ärger
bereiten konnte, war es mittlerweile zu Enthüllungen über eine für das Projekt
unvorteilhafte Studie gekommen, die von der Bahn unter Verschluß gehalten
worden war, wobei es sich allerdings nicht um geologische Fragen handelte,
sondern um experimentelle Fahrpläne, die sich allein dann würden umsetzen
lassen, wenn die Bahn in der Lage wäre, ein hochelastisches Raum-Zeit-Kontinuum
zu schaffen.
    Und dann war auch noch jener Finanzbürgermeister, der im
Garten der Adiuncten gesessen hatte, in die Kritik und in die Schlagzeilen
geraten, weil er sich im Beirat ausgerechnet jener Firma befand, die mit dem
Abriß des Nordflügels beauftragt worden war. Der Bürgermeistermensch und
Meister der Nebentätigkeiten und verurteilte Eiskunstlauffunktionär erfuhr wie
zuvor schon der Projektsprecher und der Oberbürgermeister die gleiche
öffentliche Verachtung, allerdings befand er sich im Urlaub. Doch selbst aus
seinem Urlaub heraus wurde dieser Mann - vergleichbar einem Küken, das sogar in
einem Schokoladeei reifen könnte - zu einem Symbol, wie so vieles in diesen
Tagen - der Bahnhof zum Liebessymbol, der Finanzbürgermeister zum Haßsymbol.
Die meisten Leute empfanden ihn als exemplarischen Vertreter jener "privaten
Macht", die laut dem Mafiajäger Roberto Scarpinato in immer mehr unserer
Staaten die Kontrolle übernommen hat. Der Staat im Staat. Nichts prinzipiell
Neues, nun aber einen Höhepunkt erreichend: Die P2-Loge war überall und kaum
mehr verhüllt.
    Rosenblüt freilich war schon vor diesen Ereignissen nach
München zurückgekehrt. Ein weiteres Gespräch mit Aydin war ohne Erfolg gewesen,
der kleine Mann hinter dem großen Tisch hatte sich geweigert, mehr preiszugeben
als den rätselhaften Hinweis auf ein Steven-Spielberg-Zitat. Und auch in der
bayrischen Hauptstadt stockte die Sache, weil Uhl fortgesetzt schwieg und kein
Wort über sein Gutachten oder gar seine Stuttgarter Bundesbrüder verlor. Er
tauchte in die universitäre Geologie ab, während sein Sohn zum Therapeuten
ging. Und bald schwand auch bei Rosenblüt das Interesse an diesem Fall, einem
Fall, der ja offiziell bloß den Übergriff einer Jugendbande behandelte. Rosenblüt
war längst mit anderem beschäftigt. Und zudem entschlossen, Stuttgart rasch
wieder zu vergessen.
    Aber Stuttgart vergaß ihn nicht.
     
    Erst jetzt bemerkte Doktor Thiel, daß da hinter den

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