Steirerblut
aufgefallen, dass es zwischen euch gewisse atmosphärische Störungen gibt.«
»Ach ja? Warte mal, bis du Mike erst kennenlernst.«
»So schlimm?«
»Viel schlimmer.«
»Gibt es einen konkreten Grund, warum dein Bruder auf deiner Verdächtigenliste ganz oben steht?«
»Er ist mein Halbbruder. Darauf bestehe ich … Ich traue ihm alles zu.«
»Was hat er dir denn bloß angetan?«
»Darum geht es hier nicht.«
»Sondern?«
»Er manipuliert Menschen, nutzt sie aus, geht über Leichen – nicht in wörtlichem Sinne, hoffe ich zumindest. Doch er kann schon mal gewalttätig werden, wenn er nicht bekommt, was er will.«
»Ist er denn schon einmal in Konflikt mit dem Gesetz geraten?«
»Ein halbes Jahr lang ist er in der Justizanstalt Graz Jakomini eingesessen. Er hat seine Freundinnen misshandelt, ihnen immer wieder Geld abgeknöpft und ihre Kreditkarten benutzt. Ohne ihr Wissen, versteht sich. Ein paarmal ist die Mutter finanziell eingesprungen, nachdem er aufgeflogen ist, damit der feine Herr Sohn ungeschoren davonkommt. Die letzte Freundin hat sich allerdings nicht von ihr bestechen lassen. Sie hat Mike angezeigt, und er wurde wegen Körperverletzung und Betrugs verurteilt. Er hat schon immer lieber Frauen ausgenutzt, anstatt selbst zu arbeiten. Im Moment lebt er wohl von der Sozialhilfe. Und von unserer Mutter, befürchte ich.«
»Mama hält wohl in allen Lebenslagen zu ihrem Sohnemann.«
»Worauf du dich verlassen kannst. Mike darf seit jeher machen, was er will. Hauptsache, es tut ihm hinterher leid und er gelobt Besserung. Das reicht ihr schon. Sie hat jedes Mal tausend Gründe, um ihm zu verzeihen und erwartet das auch von mir. Was meinst du, wie oft ich schon versucht habe, ihr die Augen zu öffnen?«, redete sich Sandra den Frust von der Seele.
»Auweia«, meinte Bergmann und nahm einen Schluck Kaffee.
»Entschuldige, dass ich dich mit meiner Familiengeschichte belästige.«
»Das ist schon okay.«
»Ich …«
»Es tut mir leid«, unterbrach Sandras Mutter die Unterhaltung. »Mike bittet euch, später noch mal zu kommen.«
»Haben Sie ihm denn nicht gesagt, dass die Kriminalpolizei ihn vernehmen möchte?«, fragte Bergmann ungläubig.
»O ja. Das hab ich.«
»Na warte!« Sandra wollte aufspringen, doch Bergmann hielt sie zurück.
»Lass mal«, meinte er beschwichtigend, um sich anschließend wieder der Mutter zuzuwenden: »Ihr Sohn soll um Punkt 14 Uhr in der Inspektion erscheinen, sonst …«
»Sonst lassen wir ihn in Handschellen vorführen«, unterbrach Sandra ihn. Ihre grünen Augen funkelten gefährlich, als sie sich erhob.
»Aber Sandra! Mike ist doch dein kleiner Bruder«, echauffierte sich die Mutter.
»Das ist er nur zur Hälfte. Und selbst wenn er es zur Gänze wäre, würde ich nicht davor zurückschrecken.«
»Was redest du nur wieder für einen Unfug? Was soll sich denn dein Kollege von uns denken?«, fragte sie in Richtung Bergmann, der in aller Ruhe seinen Kaffee austrank.
Was die anderen über sie dachten, war wie immer das Wichtigste, ärgerte sich Sandra über die Mutter. Bloß nicht darauf eingehen, beschwor sie sich selbst. Diese Diskussion konnte nur in einem Streit enden.
»Na ja, ich weiß ja, woher du deine Herzlosigkeit hast«, fuhr die Mutter fort, während die Tochter ihre Hände in die Taschen der Lederjacke bohrte.
»Von meinem Vater, so wird es wohl sein. Auf Wiedersehen, Mama.« Endlich stand auch Bergmann auf und folgte Sandra zur Küchentür.
»Kommst du morgen zum Mittagessen?«, rief Helga Feichtinger der Tochter hinterher.
Sandra hätte viel darum gegeben, in diesem Augenblick Nein sagen zu können. Stattdessen hielt sie inne und drehte sich um. Bergmann tat es ihr gleich.
»Du hast es mir versprochen«, setzte die Mutter nach. »Wenn du dich schon zufällig einmal nach Hause verirrst, kannst du dir ruhig ein wenig Zeit für deine alte Mutter nehmen.«
Sandra sah ihr in die Augen. »So alt bist du nun auch wieder nicht.«
»Du kommst also, ja?«
»Ja, Mama. Ich komme.«
Bergmann packte Sandra bei der Schulter und schob sie sanft, aber bestimmt aus der Küche, während er sich über die eigene Schulter hinweg von ihrer Mutter verabschiedete. »Auf Wiedersehen, Frau Feichtinger. Vielen Dank für den Kaffee. Und sorgen Sie bitte dafür, dass Ihr Sohn pünktlich bei uns ist. Sonst müssten wir ihn abholen lassen. Die Adresse kennen Sie ja. Wir finden allein hinaus. Danke.«
Helga Feichtinger folgte den Kriminalbeamten ins Vorzimmer.
»Und
Weitere Kostenlose Bücher