Steirerblut
vergangenen Jahr war sie einigen einflussreichen Leuten gehörig auf die Zehen getreten. Ihnen allen dürfte der Mord an der Journalistin zumindest nicht ungelegen kommen.
»Deine Mischpoche ist soeben eingetroffen. Möchtest du dabei sein, wenn ich sie befrage?« Bergmann steckte den Kopf zur Tür herein.
Sandra hatte völlig die Zeit übersehen. »Ich komme schon«, sagte sie und schlüpfte in ihre Lederjacke. Erstens wollte sie oben nicht wieder frieren, und zweitens verlieh ihr das dicke Leder zusätzlichen Schutz gegen psychische Attacken, hatte ihr ein Polizeipsychologe vor einiger Zeit verraten. Um sich vor Mike-Arschloch-Feichtinger zu schützen, hätte allerdings noch nicht mal ein Panzeranzug gereicht, antwortete sie dem Psychologen im Geiste. Sandra graute vor der bevorstehenden Begegnung mit ihrem Halbbruder, doch ihr Job erforderte diese nun einmal.
»Schön, dass Sie es doch noch geschafft haben«, begrüßte Bergmann zuerst Michael, dann Helga Feichtinger im Besprechungsraum. Diesmal hatte Petra kein Tablett mit Kaffee vorbereitet.
Mike lehnte am Fensterbrett und kaute Kaugummi. Er grinste und sagte gar nichts, während die Mutter ein zaghaftes »Grüß Gott« hervorpresste.
Sandra konnte sich nicht erinnern, die Mutter jemals so verunsichert gesehen zu haben. »Hallo, Mama. Mike …«, grüßte sie zurück. »Sag mal, möchtest du nicht die Sonnenbrille runternehmen?«
Mike reagierte nicht auf die Frage seiner Schwester und grinste die Mutter an, die ihm ihrerseits einen besorgten Blick zuwarf.
»Herr Feichtinger, nehmen Sie bitte Ihre Sonnenbrille ab«, wiederholte Bergmann.
»Wenn’s unbedingt sein muss … bitte schön.« Mike nahm die schwarze Brille, jedoch nicht sein provokantes Grinsen ab, und sah Bergmann aus einem Auge an. Das andere war zugeschwollen und violett unterlegt. Wenn er nicht irgendwo dagegengerannt war, hatte ihm jemand ein Veilchen verpasst.
Bergmann bat Helga Feichtinger, draußen zu warten. Er wolle zuerst ihren Sohn befragen.
»Aber Mike hat doch keine Geheimnisse vor mir«, protestierte sie.
Ja, Mama, träum weiter, dachte Sandra und hätte beinahe laut aufgelacht.
»Darum geht es nicht, Frau Feichtinger. Ich bitte Sie noch einmal höflich, draußen zu warten«, blieb Bergmann hartnäckig. Helga Feichtinger drehte sich mit demselben beleidigten Gesichtsausdruck um, den sie schon am Morgen gezeigt hatte und den Sandra so sehr verabscheute, und verließ den Raum. Wahrscheinlich klebte die Mutter jetzt mit dem Ohr an der Tür, vermutete Sandra und deutete Mike, sich hinzusetzen. Bergmann und sie nahmen ihm gegenüber Platz, und Sandra schaltete das Aufnahmegerät ein.
»Woher haben Sie denn das hübsche blaue Auge?«, begann Bergmann mit der Befragung.
»Ich hatte einen kleinen Wickel.«
»Aber geh«, entgegnete Bergmann wenig überrascht. »Und mit wem haben Sie gestritten, wenn ich fragen darf?«
Mike betrachtete die Sonnenbrille in seinen Händen, bevor er antwortete: »Mit dem Wirt von der ›Gans‹.« Die Brille verschwand in der Innentasche seiner Military-Jacke.
»Mit dem Michl?«, fragte Sandra ungläubig. Der Wirt war einer der friedlichsten Zeitgenossen, den sie kannte. Was hatte Mike nur wieder angestellt, um ihn so aus der Reserve zu locken?
Mike bejahte ihre Frage mit einem Nicken. Dabei kaute er so provokant auf seinem Kaugummi, dass sie fast die Beherrschung verlor. Du widerliches Schwein!, brüllte sie innerlich. Doch anstatt ihren Gedanken auszusprechen, atmete sie tief durch und fixierte sein gesundes Auge.
»Sie hatten also eine handgreifliche Auseinandersetzung mit Herrn Oberhauser. Und wann und wo soll das gewesen sein?«, fragte Bergmann weiter.
»Und wie ist es überhaupt dazu gekommen?«, ergänzte Sandra.
»Das war am Dienstagabend, so gegen halb neun in der Wirtshausstubn. Vor allen Leuten. Hat euch denn das noch keiner erzählt?« Mikes Tonfall klang spöttisch.
»Die Fragen stellen wir«, erwiderte Bergmann streng.
Wieso hatte ihnen das wirklich noch niemand erzählt? Das war wieder typisch für diese eingeschworene Bande. Noch nicht einmal Max hatte ein Sterbenswörtchen von einem Streit erwähnt. Der wusste doch sicher auch Bescheid, vermutete Sandra. Na warte, Max, wenn das stimmt, dann gnade dir Gott, dachte sie ärgerlich. »Und warum hat Herr Oberhauser zugeschlagen?«, hörte sie Bergmann fragen.
»Wegen der Alten … dieser auftakelten Tussi aus Wien, die in der Nacht … na, wegen der Toten halt.«
»Sie meinen
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