Steirerblut
noch nie gemocht, und dennoch geriet sie immer wieder mitten hinein.
Erst als sie den Wagen unten bremsen hörte, gab sie sich einen Ruck und stand auf. Vom Fenster aus konnte sie beobachten, wie Mike in den Polizeiwagen stieg. In diesem Moment wünschte sie sich nichts sehnlicher, als dass er damit für immer aus ihrem Leben verschwunden wäre.
Eine Dreiviertelstunde und zwei Telefonbefragungen später traf Sandra in der Teeküche auf Max.
»Und? Wie geht’s dir?«, erkundigte er sich und schien seine Frage ernst zu meinen.
»Es geht schon. Kannst du mal den Kopf einziehen? Ich will kurz zu den Teebeuteln. Danke schön.« Sandra nahm den elektrischen Wasserkocher und füllte ihn zur Hälfte, bevor sie ihn einschaltete. Max sah ihr zu, wie sie den Beutel über den Rand der Tasse hängte. »Sandra?«, fragte er zögerlich.
Schon am Tonfall erkannte sie, dass er ihr etwas Unangenehmes mitzuteilen hatte. »Was ist? So spuck es schon aus«, sagte sie und ließ ein Stück Würfelzucker in die Tasse fallen.
»Deine Mutter wird gerade in die Landesnervenklinik in Graz eingeliefert.«
»Was? Wieso denn? … Auch das noch.« Sandra seufzte und sah Max in die Augen. Er kannte ihr schwieriges Verhältnis zur Mutter noch von früher, und so ließ sie es zu, dass er ihr beschwichtigend über den Arm streichelte.
»Was ist denn passiert?«, fragte sie nach.
»Jakob und ich haben sie zu Hause aufgefunden, als wir Mikes Festplatte geholt und uns nach den Nike-Laufschuhen umgeschaut haben. Deine Mama war völlig benommen, kurz vor der Bewusstlosigkeit, hat wohl jede Menge Medikamente geschluckt. Die leeren Verpackungen sind zum Glück noch auf der Kredenz gelegen. Damit wusste der Notarzt sofort, welche Substanzen sie geschluckt hat.«
»Scheiße«, sagte Sandra leise. Das Wasser brodelte immer lauter, und das Gerät schaltete sich schließlich automatisch ab. Sie griff nach der Kanne und goss das heiße Wasser über den Teebeutel. Niemals hätte sie gedacht, dass die Mutter ausgerechnet ihre letzte Selbstmorddrohung wahr machen würde. Sandra hatte ähnliche Sprüche schon so oft aus ihrem Mund gehört, doch nie war etwas dergleichen geschehen. Irgendwann hatte sie daher aufgehört, sie für voll zu nehmen. »Weißt du, wie es ihr geht?«, erkundigte sie sich.
»Der Notarzt hat sie noch vor Ort behandelt und gemeint, sie sei übern Berg«, versicherte Max.
Warum nur empfand sie in diesem Augenblick keine Erleichterung, wunderte sich Sandra. Immerhin ging es um ihre Mutter, die einen Selbstmordversuch überlebt hatte. Stattdessen meldete sich das schlechte Gewissen prompt zur Stelle. Hätte sie der Mutter doch wenigstens dieses eine Mal Glauben geschenkt!
Als hätte er ihre Gedanken gelesen, unterbrach Max ihre Selbstvorwürfe: »Es ist nicht deine Schuld, Sandra.«
»Ich weiß.« Wusste sie das wirklich?
»Komm, gehen wir ein wenig an die frische Luft. Du bist ganz blass.«
»Ach, Max. Das ist alles so … es ist einfach so anstrengend. Ich hab keine Kraft mehr …«
»Das hört sich für mich nach Burn-out an«, meinte er besorgt.
»Nein, nein. Mit meinem Job komme ich schon klar. Und mit dem bisschen Privatleben, das mir bleibt, auch. Nur meine Familie und dieses Kaff hier pack ich einfach nicht mehr«, stellte sie klar.
»Das eine lässt sich im Moment aber nur schwer vom anderen trennen. Immerhin habt ihr heute deinen Halbbruder festgenommen. Und deine Mutter wird wohl noch eine Zeit lang in psychiatrischer Behandlung bleiben müssen.«
Sandra nickte erschöpft.
»Komm, Sandra. Hol deine Jacke. Ich lad dich auf die Binderalm ein. Eine Brettljausn wird dir guttun«, schlug Max vor.
»Jetzt? Ich hab doch noch so viel zu tun. Wir wollen heute Abend unsere Zelte hier abbrechen. Du kannst dich schon mal freuen: Ihr seid uns demnächst wieder los.« Hoffentlich für immer, fügte sie gedanklich hinzu.
»Dass Bergmann hier verschwindet, tut mir sicher nicht leid, aber du … Komm schon, du musst doch was essen. Wer weiß, wann du jemals wieder die Möglichkeit hast, auf der Binderalm in der Sonne zu sitzen und die beste Brettljausn weit und breit zu genießen?«
Sandra blickte auf ihre Armbanduhr. »Okay«, willigte sie schließlich ein. »Es ist ohnehin längst Mittag. Fahren wir!«
»Ich geb nur rasch Jakob Bescheid.«
»Und ich Sascha.«
Max verdrehte die Augen. »Sascha nennst du diesen Vollidioten also«, stöhnte er.
»Na, na, na …«, rügte Sandra ihn. Sie wusste, wie nachtragend Max war.
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