Steirerkind
Chefinspektor voraus, während Sandra die Nummer von Miriams Bekanntem wählte, um sich zu erkundigen, wohin sie nachher fahren mussten. Von Tunzendorf hatte sie noch nie etwas gehört. Blieb zu hoffen, dass dieses Kaff nicht allzu weit weg war.
»Wir werden noch eine Weile brauchen, bis wir bei Ihnen sind. Wie lange ist denn jemand wach, der uns reinlassen kann?«, erkundigte sie sich.
»Bis Mitternacht auf alle Fälle«, meinte der Unbekannte am anderen Ende der Leitung. »Wenn’s später wird, rufen S’ einfach noch mal an.« Zu ihrer Freude erfuhr Sandra, dass die Adresse bei Michaelerberg, keine 20 Kilometer von Schladming entfernt, war. Miriam hatte ganze Arbeit geleistet. Gerade, als sich Sandra am Telefon verabschiedete, brach am Eingang ein Blitzlichtgewitter los, das vermutlich das Eintreffen der Ski-Stars ankündigte.
»Dort vorne ist der Toby«, bestätigte Bachler. »Ich hol ihn gleich zu uns herüber«, sagte er und tauchte ins Getümmel ein.
»Lass uns mit Autischer einen Termin für morgen früh vereinbaren, und dann nichts wie weg hier«, schlug Sandra vor. Der Trubel im VIP-Club wurde ihr allmählich zu viel. Ihren Hunger würde sie mit diesen Miniatur-Häppchen, die nur alle heiligen Zeiten vorbeikamen, auch nicht stillen können. Rasch stibitzte sie die letzte von Bergmanns Mini-Frühlingsrollen und schob sie sich gierig in den Mund. Die Aufmerksamkeit des Chefinspektors galt momentan dem blonden Ski-Star, der sich ihnen an Bachlers Seite näherte.
»Mal abwarten, wie’s läuft«, murmelte er, den Blick auf Tobias Autischer gerichtet.
Nachdem sie einander vorgestellt worden waren, kondolierte Sandra dem jungen Mann. Der bedankte sich bei ihr unerwartet verlegen.
»Haben Sie schon einen Verdächtigen?« Schon hatte sich Tobias Autischer wieder gefangen.
Ob das an seiner jugendlichen Unbeschwertheit lag?, fragte sich Sandra. Oder an dem Medientraining, das ihn nach außen so wirken ließ, wie er es wollte?
»Könnte ich bitte ein Autogramm haben?« Aus der Menge tauchte eine Dame in Rosa auf, die dem Skifahrer einen Zettel vor die Nase hielt und mit einem Stift wedelte.
»Jetzt nicht«, wehrte Bachler ab, »wir haben hier etwas zu besprechen.«
Beleidigt dampfte die herausgeputzte Mittvierzigerin ab. Hätte sie ihr rosafarbenes Kleid eine oder besser zwei Nummern größer gewählt, würde sie jetzt nicht wie eine Knackwurst daherkommen, ging es Sandra durch den Kopf. Abgesehen davon, dass ihr diese Farbe überhaupt nicht stand. Dabei fiel die Dame bei diesem VIP-Empfang weit weniger aus dem Rahmen, als Sandra selbst in ihren Jeans und dem wenig eleganten Norwegerpulli, wurde ihr auf einmal bewusst.
Bergmann trug immerhin ein Jackett, wie die Sportler, die nunmehr ihre offiziellen ÖSV-Abendsakkos anhatten.
»Sie kannten Roman Wintersberger ziemlich gut«, kam der Chefinspektor zur Sache.
Tobias Autischer nickte.
»Er war für mich ein zweiter Vater …«, begann er. Weiter kam er nicht, da sich nun eine Journalistin frech dazwischendrängte und nach einem Interview fragte.
Norbert Bachler verwies auf das Pressebüro und verscheuchte nach der Knackwurst auch noch die Reporterin.
Hier würde aus der Befragung nichts werden, dachte Sandra und wandte sich an Tobias Autischer.
»Könnten wir für morgen einen Termin vereinbaren? Wir brauchen nur eine halbe Stunde.«
Der Rennläufer sah sie an, als hätte sie eben um seine Hand angehalten.
»Wie stellen Sie sich das vor, Frau Inspektor? Momentan ist jede Tausendstel Sekunde bei mir verplant«, erwiderte er, immerhin mit einem Schmunzeln.
Wieder schritt Bachler ein.
»Was hältst du davon, wenn die Herrschaften vom LKA dir morgen beim Frühstück Gesellschaft leisten? Natürlich nur, wenn es Ihnen auch recht ist«, schlug er vor.
Sandra nickte.
»Von uns aus lässt sich das einrichten.«
»7 Uhr 30, im Frühstücksraum des Mannschaftshotels. Bitte seien Sie pünktlich«, sagte Bachler und gab Sandra den Namen und die Adresse des Hotels im nahen Pichl bekannt.
»Wir sind fast immer pünktlich«, stellte Bergmann klar.
Wenn ihnen nicht gerade ein Schneesturm, ein Verkehrsstau oder Menschenmengen dazwischenkamen, relativierte Sandra seine Aussage in Gedanken, während sie sich verabschiedeten. Auf dem Weg zur Tür schnappten sie sich noch jeder ein Mini-Fleischlaberl und verließen die Feier.
Inzwischen war es klirrend kalt geworden. Minus zehn, zwölf Grad, schätzte Sandra und setzte ihre Kapuze auf.
»Albert Kronthaler
Weitere Kostenlose Bücher