Steirerkind
ich dich zum Bahnhof fahren, Sascha?«, bot sie dem Chefinspektor an.
Bergmann sah ebenfalls auf die Uhr und kippte den restlichen Kaffee hinunter, der längst kalt war.
»Mein Zug geht erst in einer Stunde«, sagte er. »Lass uns vorher noch einen Sprung ins Krankenhaus machen. Vielleicht ist Fitzner schon vernehmungsfähig. Und falls nicht, können wir zumindest mal nachfragen, ob und wann er soweit sein wird.«
Sandra seufzte. Duschen und Umziehen konnte sie demnach vergessen. Mit viel Glück würde sie es gerade noch pünktlich zum Abendessen schaffen. Doch Bergmann hatte recht. Sie mussten Gregor Fitzner so rasch wie möglich einvernehmen, um den Verdacht gegen ihn auszuräumen. Oder eben, um ihn als Täter zu überführen. Tobias Autischer durfte nicht für etwas büßen, das ein anderer getan hatte, anstatt bei der WM jene Medaillen einzufahren, für die er jahrelang hart trainiert hatte. Die Nachricht, dass Doktor Theo Streiter im Namen seines Mandanten und des Österreichischen Skiverbandes die Republik Österreich verklagen wollte, hatte sich in den Medien bereits wie ein Lauffeuer verbreitet. Sandra mochte sich gar nicht ausmalen, was sich in den diversen Chefetagen derzeit so alles abspielte. Generalmajor Stickler war nicht zu beneiden. Womöglich würde er Bergmann wirklich opfern, falls sie mit Tobias Autischer den falschen Mann festgenommen hatten.
»Sandra? Fahren wir?«, riss Bergmann sie aus ihren Gedanken.
»Was? … Ja«, willigte sie ein. Zum Diakonissen-Krankenhaus würden sie keine fünf Minuten brauchen. »Wie geht’s deinem Rücken?«, erkundigte sie sich auf dem Weg nach unten.
»Fast wie neu«, antwortete Bergmann.
»Der Zustand des Patienten ist noch immer sehr kritisch«, erklärte ihnen die zuständige Oberärztin. »Herr Fitzner leidet an einem schweren Schädel-Hirn-Trauma und ist noch lange nicht über den Berg. Die Blutungen haben wir operativ versorgen und so eine Druckentlastung für sein Gehirn herbeiführen können. Es ist jedoch anzunehmen, dass Schäden zurückbleiben werden, sofern der Patient diese Nacht überlebt und aus dem Koma aufwacht.«
Dass es nicht gut um Gregor Fitzner stand, hatte Sandra befürchtet. Ebenso hatte sie damit gerechnet, dass ihre Schuldgefühle bei einer solchen Diagnose heftiger werden würden. Hatte sie den jungen Mann in den Tod gehetzt? Würde er wegen ihr sterben müssen oder, was vielleicht noch schlimmer war, geistig und körperlich behindert bleiben? Verdammt! Sie konnte doch nichts dafür, dass Fitzner getürmt war, redete sie sich gut zu. Ebenso wenig war es ihre Schuld, dass er viel zu schnell in die Kurve gefahren war.
»Eine Vernehmung in absehbarer Zeit ist also unwahrscheinlich?«, hörte Sandra den Chefinspektor fragen.
Die Oberärztin nickte.
»Wenn kein Wunder geschieht, ja«, bestätigte sie.
Eine solche Prognose hatte sich Sandra am allerwenigsten gewünscht. Die Ärztin empfahl sich.
»Dort vorne sind die Wintersbergers«, sagte Bergmann, den Blick auf ein Fenster am Korridor gerichtet. Irene Wintersberger stand davor und starrte hinaus. Ihr Sohn, direkt hinter ihr, redete auf sie ein. Keiner der beiden bemerkte, dass sich ihnen die Ermittler näherten.
Bergmann sprach sie an. Beide drehten sich erschrocken um. Die Tränen der Frau hatten Spuren in ihrem sonst so makellos geschminkten Gesicht hinterlassen.
»Sie sind auch hier?«, fragte Irene Wintersberger. »Gibt’s was Neues? Ist Gregor …? Ist er …?« Sie stockte ängstlich und wischte sich mit dem Taschentuch über die feuchten Augen.
»Nein, nein«, beeilte sich Sandra, ihr zu antworten. »Herr Fitzner lebt. Wir haben uns eben mit seiner Ärztin unterhalten.«
»Gott sei Dank …« Irene Wintersberger atmete erleichtert durch. Mit zittrigen Händen steckte sie das gebrauchte Taschentuch in ihre Manteltasche. Diesmal hatte sie einen klassischen Kamelhaarmantel gewählt, den sie offen trug. Der grobmaschig gestrickte, elfenbeinfarbene Wollschal hing lose über ihre Schultern. »Wie ist der Unfall überhaupt passiert?«, wollte sie wissen. »Die Polizei hat gemeint, dass ein Einsatzwagen des LKA hinter Gregor her war. Weshalb, wollten sie mir aber nicht verraten. Wissen Sie vielleicht mehr?«
Sandra sah die Verzweiflung in den Augen ihres Gegenübers und nickte.
»Ich habe Herrn Fitzner mit dem Auto verfolgt. Zuvor war ich bei ihm im Salon, um ihm noch ein paar Fragen zu seinem Alibi zu stellen. Merkwürdigerweise ist er sofort geflüchtet. Wissen
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