Stella Blomkvist
hingefahren.
Schon der Gedanke daran jagt mir im hellen Sonnenschein einen Schauer durch den
Körper.
Lilja Rós schweigt den ganzen Weg
bis zur Ringstraße.
»Es ist komisch, nach so vielen
Jahren wieder herzukommen«, sagt sie schließlich. »Mir kommt alles hier viel,
viel kleiner vor, als ich es in Erinnerung hatte.«
»Das ist nur der Beweis dafür, dass
niemand darauf bauen kann, dass seine Erinnerungen Tatsachen sind.«
»Alles sieht jetzt so klein und
heruntergekommen aus. Und verlassen.«
»Die Erinnerungen sind meistens
besser als die Wirklichkeit.«
»Das ist
eine furchtbare Vorstellung.«
»Ganz und
gar nicht.«
Sie hält an. Schaut aus dem Fenster.
»Ich finde es besser, den Hof aus der Ferne zu sehen«, sagt sie.
»Mach dir
ein Prinzip draus: Wenn du von einem Ort schöne Erinnerungen hast, fahr nie
wieder hin.«
»Vielleicht hast du Recht.«
»Die Kehrseite der Medaille ist
natürlich was anderes: wenn du schlechte Erinnerungen von irgendeinem Ort hast,
dann lohnt es sich auch nicht, wieder hinzufahren.«
»Warum?«
»Weil es dort bestimmt nicht besser
geworden ist!«
Lilja Rós fängt an zu lachen.
»Getreu deiner pessimistischen Regel sollte man also nie zweimal an den gleichen
Ort fahren.«
»Das wäre
vernünftig. Schützt vor Enttäuschungen.«
Gegen Abend kommen wir wieder nach
Blönduós. Lilja Rós ist auf der Ausfahrtsspur zum Parkplatz vor einer
Tankstelle, als ich den Wikinger entdecke. Er steht an einer Zapfsäule und
füllt den Benz.
»Nicht abbiegen! Fahr weiter!«, rufe
ich im Befehlston.
Sie guckt kurz zu mir, aber fährt
dann wieder zurück auf die Ringstraße und fährt genau vor der Nase des Wikingers
weiter.
»Sie sind hier«, sage ich.
»Wer?«, fragt Lilja Rös.
»Diese beiden Idioten aus
Reykjavik.«
Sie überquert schnell die Brücke des
Flusses Blanda und fährt ins Dorf hinein. »Sie sind uns dann wohl heute Nacht
nachgefahren, vom Gemeindehaus aus«, sagt sie.
»Vielleicht. Ich finde es
wahrscheinlicher, dass sie uns schon die ganze Zeit auf den Fersen sind.«
»Meinst du ab Reykjavik?«
»Ja.«
Ich lasse mir die Sache durch den
Kopf gehen, während Lilja Rös vor dem kleinen Reihenhaus einparkt. Es konnte
doch kein Zufall sein, dass diese Wilden hier aufgetaucht sind. Die sind hinter
uns her.
Aber warum?
Zweifellos, um uns zu beobachten. Zu
sehen, was wir hier im Norden machten. Wen wir treffen würden. Ob uns irgendwas
ausgehändigt würde. Das lag klar auf der Hand.
Jetzt ging es darum, sie abzuhängen.
Wieder nach Reykjavik zu kommen, ohne dass sie es bemerken würden – und wenn,
dann erst zu spät. Mit unserer Beute, wegen der wir hier hochgefahren sind.
Wir gehen schnell ins Haus. Ich
folge Lilja Rös in die Küche, wo sie anfängt, das Abendessen vorzubereiten.
»Ich will nicht erst morgen nach
Hause fahren«, sage ich.
»Aber wir müssen doch in die Bank?«
»Ja, schon. Wie gut kennst du den
Filialleiter?«
»Hier kennt eigentlich jeder jeden.«
»Dann sprich jetzt mit ihm. Wir
müssen noch heute Abend ans Schließfach.«
»An einem Sonntagabend? Das kommt
für ihn sicher nicht in Frage.«
»Dann musst du ihn halt
bequatschen.«
Wir setzten uns, trinken Kaffee und
schmieden einen Plan.
Als Lilja Rós sich mit Koffein Mut
angetrunken hat, ruft sie den Filialleiter an. Ich finde, sie klingt sehr überzeugend.
Sie behauptet, dass sie ganz unerwartet schon heute Nacht zurück in die Stadt
fahren muss. Muss unbedingt einen Gegenstand mitnehmen, der im Bankschließfach
liegt. Hört sich Mitleid erregend an.
Schließlich bekommt sie, was sie
will. Der Filialleiter verspricht, sie am Abend um zehn zu treffen. In der
Bank.
24
Es ist
zehn Uhr.
Wir warten
schon seit ein paar Minuten vor der Bank, als der
Filialleiter mit einem schwarzen Jeep kommt.
Er geht mit
uns direkt zu den Schließfächern, wo ich
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