Stella Blomkvist
Sessel im
Wohnzimmer und versuche, mein Gehirn vom Nebel der Nacht und dem jaulenden
Kater zu befreien.
Als meine Riesentasse leer ist,
streune ich durch die Wohnung. Gestern Abend hatte ich keine Möglichkeit, sie
mir genauer anzusehen. Im Erdgeschoss befinden sich Wohnzimmer und Küche, eine
Waschküche und ein Zimmer, das Lilja Rós zur Unterrichtsvorbereitung nutzt.
Die Morgensonne scheint direkt durch
das Fenster ins kleine Zimmer. Dort steht alles fein säuberlich sortiert und
aufgeräumt, wie auch sonst überall in der Wohnung. Jedes Teil hat seinen
Platz.
Aber Lilja Rós hat vergessen, den
Computer auf dem Schreibtisch auszumachen. Die Maus scheint geradezu darauf zu
warten, dass ich ein bisschen mit ihr herumspiele. Der Schreibtischstuhl hat
einen weichen Bezug, der mich an den Oberschenkeln kitzelt, als ich mich setze und nachsehe, was Lilja Rós auf
ihrer Festplatte gespeichert hat.
Eine lange Reihe mit Titeln von
Dateien erscheint auf dem Bildschirm. Eine Mappe weckt sofort mein Interesse.
Ihr Titel heißt kurz und knapp: HALLA.
Ich zögere.
Natürlich habe ich nichts an diesem
Computer zu suchen, schon gar nicht, seinen Inhalt durchzustöbern. Aber die Neugier
wird stärker als alles andere, wie schon so oft.
»Verbotene Früchte schmecken am
besten.«
Sagt Mama.
In der Halla-Datei gibt es eine
ganze Menge Dokumente. Sie sind alle mit einem Zahlencode benannt; zuerst
vier Ziffern, dann zwei und noch mal zwei. Und zum Schluss drei Buchstaben:
PGP.
»Klare Sache, Watson«, sage ich
zufrieden zu mir selbst. Das müssen Kopien von Hallas Tagebüchern sein,
sortiert nach Jahr, Monat und Tag. Sie hat sie also auch hier hingeschickt.
Natürlich durch die Telefonleitung. Damit sie bei Lilja Rós in sicherer
Verwahrung sind.
Natürlich habe ich die drei
Buchstaben am Ende sofort erkannt. Sie sind die Bestätigung dafür, dass der
ganze Text auf gleiche Weise verschlüsselt wurde wie der auf den Disketten in
der Stadt.
Ich überfliege die Titel der
Dokumente. Die Jahreszahlen zeigen, dass es die gleichen Texte sind, die ich
im Süden gelesen habe.
Aber hallo!
Nicht ganz. Da tauchen Daten auf von
den letzten Jahren, in denen Halla noch lebte.
Die hatten auf den Disketten aus dem Bankschließfach gefehlt.
Jetzt zögere ich nicht mehr länger.
Krame in Windeseile aus meiner Erinnerung Sindris Erklärungen hervor. Finde
schnell das Programm Pretty Good Privacy und rufe es auf dem Bildschirm auf.
Öffne das letzte Dokument, das Halla in den Norden geschickt hat. Setze das
italienische Passwort ein.
Bingo!
Ich brauche ungefähr zwei Stunden,
um das letzte Jahr, in dem Halla lebte, als Tagebuchversion durchzulesen. Als
ich damit fertig bin, gehe ich wieder in die Küche und mache mir noch einen
Kaffee, setze mich dann ans Küchenfenster, verfolge in Gedanken versunken die
Kinder beim Spielen auf der Straße und versuche, die neuen Informationen zu
verdauen.
Bin ich der Sache eigentlich näher
gekommen?
Vielleicht, vielleicht auch nicht.
Unbestritten ist allerdings, dass
sich Halla in den letzten Monaten ernsthafte Sorgen wegen ihrer Geschäfte mit
Sigvaldi machte. Vor allem deshalb, weil er meinte, dass die Polizei ihn wegen
Verdacht auf Rauschgiftschmuggel genauer unter die Lupe nehmen wollte. Valdi
wollte, dass Halla ihren politischen Einfluss geltend machte, um
Nachforschungen zu verhindern. Das hätte natürlich die Aufmerksamkeit der
Polizei auf sie selber gelenkt. Deshalb hatte sie sich auch herausgeredet, um
nichts in Valdis Sache unternehmen zu müssen. Sigvaldi war aufgebracht und
drohte ihr alles Übel der Welt für ihre Untätigkeit an.
Hatte er zum guten Schluss mehr
getan als nur
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