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Stelzvogel und Salzleiche

Stelzvogel und Salzleiche

Titel: Stelzvogel und Salzleiche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Niklaus Schmid
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Sache herumwühlst.«
    Keller trat also die Flucht nach vorn an.
    »Warum habt ihr euch hier getroffen?«
    »Schopinski wohnt ja in Oberhausen, hat seinen Laden gleich um die Ecke.« Harry blickte in die Höhe. »Okay, du meinst, warum ausgerechnet hier im Gasometer. Schlömm, das solltest du als ehemaliger Polizist doch eigentlich wissen.
    Wahrscheinlich ist das die einzige Stelle im ganzen Gebiet zwischen Rhein und Weser, wo dich niemand orten oder abhören kann.«
    »So wichtig?«
    Er wechselte den Mantel vom linken auf den rechten Arm.
    »Komm, wir nehmen den Aufzug. Von der Plattform da oben kannst du die Aussicht bewundern – und ich erzähle dir was.«
    21.
    Die Aussicht war in der Tat fantastisch. Unter uns lagen, bunten Legosteinen gleich, die Gebäude des Centro-Parks, es gab einen künstlichen See samt Seeräuberschiff, grüne Wiesen mit Holzbrücken, bunte Betonburgen und Glaspaläste. Die Wege dazwischen waren voller Männer, Frauen und Kinder, die im Laufen aßen oder Einkaufstüten schleppten oder beides zugleich taten. Unter den Müßiggängern in Freizeitkleidung vermutete ich Männer, die früher an genau dieser Stelle, als hier noch Stahl gekocht wurde, in Asbestanzug oder Blaumann ihrer Arbeit nachgegangen waren. Die Hochöfen samt Gebläsehallen, Erzbunker und Kühltürmen waren
    verschwunden, geblieben allein der Gasometer, auf dem wir nun standen.
    Neue Arbeitsplätze hatte der Umbau von der Industrie- zur Freizeitgesellschaft schon gebracht, fünfzig Jobs hier, hundert dort – und einen Tagesjob sogar mal für mich. Ich war für einen kranken Kollegen eingesprungen, der im Centro als Warenhausdetektiv gearbeitet hatte. Nach einer Stunde kannte ich in der Etage für Herrenoberbekleidung die
    Wollmischungen aller Sakkos und fühlte mich wie ein gefangenes Tier. Ich sollte ein Auge auf die potenziellen Ladendiebe haben. Doch wo waren die? Der Dicke da, der aus der Umkleidekabine kam und bestimmt zwei Hosen
    übereinander angezogen hatte? Dann musste es piepsen, wenn er durch die Schranke ging. Nichts! Hatte der Halunke den Codestreifen mit Silberpapier deaktiviert? Um nicht aufzufallen, tat ich so, als ob mich eine bestimmte Pilotenjacke brennend interessierte, beäugte sie und las in Gedanken: Taubengraues Lederimitat, Innenfutter 100 % Baumwolle, Lammfellkragen, zwei Dutzend Taschen für Bleistifte, Pilotenbrille, Landkarten, für noch mehr Bleistifte… 248 Euro, herabgesetzt auf 198 Euro, einschließlich einer Tabelle für die Uhrzeiten aller Weltstädte…
    Mir fiel auf, dass ich wie ein Halbdebiler die Lippen bewegte. Es war so weit. Ich hielt es nicht mehr aus. Die Zeit stand still, die Luft auch, nur die Musik vom Endlosband und die Lautsprecherstimme hörten nicht auf: »18 bei 53 melden!«
    Und zum fünfzigsten Male kam der Hinweis auf einen Staubwedel, der sozusagen die Hausarbeit völlig allein erledigte.
    Gegen Mittag wechselte ich ins Untergeschoss. Supermarkt.
    Jagd auf Feinkostdiebe. Und da standen sie, die Täter, die Opfer. Männer, die sich vor der Käsetheke ratlos im Nacken kratzten, weil es zu viele Sorten gab; Frauen, schon etwas kreuzlahm, die mit Mühe den Joghurt mit der längsten Haltbarkeit aus den hintersten Reihen des Kühlfachs kramten, nur um kurz darauf den Becher, kaum zu Hause, noch im Stehen auszulöffeln. Seltsame Zeitgenossen, aber harmlos. Da stellte ein alter Mann, verwirrt von der Warenwelt, das Gurkenglas zurück ins Regal zu den Pralinen, dort packte ein junges Mädchen die Hygieneartikel in ihre Handtasche, reine Gewohnheit. Musste ich eingreifen? Nein, sie hatte es schon gemerkt. Harmlos.
    Ganz anders – Achtung! – der Typ an der Feinkosttruhe, rote Säuferbirne, offener Staubmantel, guckte sich den Aal an, maß ihn an seinem Ellbogen, guckte sich den norwegischen Lachs an, verglich ihn mit dem Räucherlachs aus Alaska, rüttelte an den Nordseekrabben und schlenderte weiter zur
    Spirituosenabteilung. Dort griff er sich den Reserva aus Rioja, beäugte den besten Roten aus Burgund, bückte sich zur Tarnung zu den Bierdosen – und ging schnurstracks an der Käuferschlange vor der Kasse vorbei.
    Es piepte, ich lief hinterher. Als ich ihn packte, fing der Saufkopf an zu flennen: »Meister, hab Hunger.«
    »Klar, Hunger auf Nordseekrabben und Spätburgunder. Her mit dem Zeug!«
    Zu Tage kam ein paniertes Schnitzel für 1,95 Euro.
    »Aber warum das denn?«
    »War im Angebot.«
    »Was noch?«
    Saufkopf zerrte eine Dose Bier aus der Tasche.
    »Weshalb das

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