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Stelzvogel und Salzleiche

Stelzvogel und Salzleiche

Titel: Stelzvogel und Salzleiche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Niklaus Schmid
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auflegen, als sie wissen wollte: »Sie sind doch ein ehemaliger Schulfreund von Herrn Keller?«
    »Kann man so sagen.«
    Ich hatte das Gefühl, dass die halbe Stadt über meine Anwesenheit unterrichtet war. Private Ermittler, hatte ich mal in Abwandlung einer politischen Weisheit gehört, sollten sich wie Fische in den Gewässern der Verdächtigen bewegen –
    jedoch wie gut getarnte Plattfische und nicht wie von weitem erkennbare Buntbarsche.
    »Und Sie interessieren sich für Kunst, Herr Mogge?«
    »Auch.«
    »Zurzeit findet im Oberhausener Gasometer eine durchaus sehenswerte Ausstellung statt. Es geht um die Neugestaltung des Ruhrgebiets, Vorschläge von Künstlern aus dem Revier.
    Wäre das nicht etwas für Sie?«
    Harry Kellers Angestellte wollte mir einen Hinweis geben, warum, das war mir nicht klar; ich ging darauf ein: »Und wann sollte ich mir das anschauen?«
    »Wenn Sie jetzt losfahren, kommen Sie zur rechten Zeit, am frühen Nachmittag ist da nicht so ein Andrang.«
    Ich bedankte mich und machte mich auf den Weg.
    Eine gute Stunde später stand ich am Kartenhäuschen vor dem Gasometer.
    Simone Engel hatte Recht: Von einem großen Andrang konnte keine Rede sein. Der Blechmantel des Gasometers war riesig, seine Ausstellungsfläche jedoch recht übersichtlich, und in dem gläsernen Aufzug, der an der stählernen Wand entlang hoch zur Plattform glitt, hatte ich einen wunderbaren Blick auf die Besucher unter mir, ein gutes Dutzend, mehr waren es nicht.
    Ich erkannte ihn sofort. Beim Klassentreffen vor zehn Jahren waren wir uns das letzte Mal begegnet, viel hatte sich Harry Keller in der Zwischenzeit nicht verändert. Etwas dicker im Gesicht, etwas fülliger die Figur, unwichtig, denn woran ich ihn erkannte, das waren seine Bewegungen. Die Kopfhaltung, vor allem aber das Pendeln der Hände und der Tritt der Füße sind bei jedem Menschen einzigartig, eine Tatsache, die sich ein neuartiges Erkennungssystem zu Nutze macht, ein Radarauge, das Personen auch aus der Entfernung und bei schlechten Sichtverhältnissen identifiziert. Hier im Gasometer waren die Sichtverhältnisse sogar gut und Kellers Gewohnheit, mit den Ellbogen über die Taille zu streifen, als müsse er den korrekten Sitz einer rutschenden Hose überprüfen, war sehr charakteristisch. Aus der Höhe und unterstützt vom Teleobjektiv meiner Kamera beobachtete ich, wie er auf einen Mann einsprach, einen Bullen von einem Kerl, der kurze Jeans über einer schwarzen Strumpfhose trug, auffällige Hosenträger spannten über seiner breiten Brust und ein Umhang mit Leopardenmuster zierte seine Schultern. Dazu schulterlange Haare und ein grau melierter Zottelbart, entweder war der Mann ein Künstler oder ein Hippiefossil.
    Der Aufzug hielt an der Plattform, ein Fahrgast stieg aus, ich fuhr gleich wieder hinunter. Und erst jetzt beim Hinabgleiten nahm ich die Ausstellungsstücke im Einzelnen wahr.
    Größtenteils handelte es sich um Videoinstallationen, aber es gab auch großformatige Bilder. Sie zeigten begrünte Schlackenberge, neonbeleuchtete Stahlwerke, überdachte Baggerseen und restaurierte Arbeitersiedlungen, Projekte also, die zum großen Teil längst verwirklicht worden waren. Es schien, als ob den Künstlern angesichts des raschen Wandels im Revier die utopischen Ideen ausgingen. Am
    eindrucksvollsten wirkte der Wasserfall, der von einem nachgebauten Förderturm auf eine urzeitliche Waldregion niederprasselte. Von den tropischen Sumpfmoorwäldern zur Kohle und zurück.
    Als der Fahrstuhl wieder auf der unteren Ebene hielt, verabschiedete sich der Späthippie, ich stieg aus und ging auf Keller zu, »Hallo, Harry!«
    Keller hielt einen dunkelblauen Stoffmantel in der Armbeuge, er trug einen feinen hellgrauen Anzug, der ihm nicht nur ausgezeichnet stand, sondern auch perfekt saß; keine Ahnung, warum er sich dauernd um seine scheinbar rutschende Hose kümmerte. Er reichte mir die Hand und lächelte weltmännisch in die Runde, als gehörte ihm der Gasometer.
    »Schön, dich zu sehen, Schlömm. Das ist ehrlich gemeint.
    Obwohl ich weiß, warum du dich in Soest rumtreibst, und mir denken kann, warum du jetzt hier bist. Du wolltest mich ja schon in der Galerie sprechen. Hatte leider keine Zeit.«
    »Verstehe, die Geschäfte.« Ich nickte zum Ausgang, wohin der Althippie verschwunden war. »Ein Künstler?«
    »Ach wo! Das war Arno Schopinski, der hatte mir seinerzeit den Kahn besorgt.« Er lachte kurz auf. »Kellers Kahn. Ich weiß doch, dass du in der alten

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