Stelzvogel und Salzleiche
Ereignisse lagen auf den Tag genau ein Jahr auseinander. Noch ein Zufall? Oder ein neues Indiz, dass es zwischen diesen beiden Todesfällen eine Verbindung gab?
28.
Gregor Kelian saß in einem taubengrauen Maßanzug vor seinem Schreibtisch, einem ausgesuchten Teil aus Stahlrohren und einer gläsernen Tischplatte, auf dem sich
Glückwunschbriefe und Jubelfaxe stapelten – was sonst würde er so offen herumliegen lassen? Bestimmt keine
Beschwerdeschreiben! Nachdem er auf dem Computer vor sich mit einem Tastendruck den Bildschirmschoner eingeschaltet hatte, erhob er sich aus seinem schwarzen Ledersessel und kam mir einen Schritt entgegen.
»Schön, dass Sie gekommen sind. Setzen Sie sich.«
Er gab sich ganz gelassen, obwohl ich ihn mit meiner Idee, auf einen Sprung in sein Büro zu kommen, regelrecht überfallen hatte. Vor einer halben Stunde hatte ich ihn angerufen, mich aus Soest zurückgemeldet und ihm
vorgeschlagen, Irenes Überwachung abzubrechen.
»Haben Sie im Lotto gewonnen?«, kam er jetzt auf meinen Vorschlag zu sprechen. »Wollen Sie auf Ihr Honorar verzichten?«
»Nein, nein, es ist nur so«, begann ich etwas umständlich, weil ich den wahren Grund, dass ich mir Sorgen um seine Sicherheit machte, nicht nennen wollte. Also schwindelte ich ihm etwas vor: »Inzwischen habe ich mit einem Spezialisten über das Thema gesprochen und der ist der Meinung, dass Stalker, wenn man sie zu stark unter Druck setzt, aggressiv reagieren. Es hat Fälle gegeben, dass die zuvor übertriebene Zuneigung in maßlose Wut gegen die, wie der Spezialist es nannte, begehrte Person umgeschlagen ist. Ich dachte, dass es besser wäre, Sie auf diesen Punkt hinzuweisen.«
»Für einen Detektiv sind Sie aber recht zart besaitet.«
In letzter Zeit hatten meine Klienten allerhand an mir auszusetzen. Anne Mehringer hatte mangelnde Neugier bei mir festgestellt, und jetzt das. Wieder einmal fragte ich mich, woher die Leute ihre Information nahmen, wie ein Detektiv charakterlich beschaffen sein musste.
»Zart besaitet, warten Sie es ab.« Ich legte ihm meinen Zettel mit der Honorarforderung auf den Schreibtisch.
Kelian warf einen Blick darauf, nickte, das ginge in Ordnung, bis auf die Erfolgsprämie. Er begründete auch, warum: »Sie hat sich wieder bei mir gemeldet. Diesmal mit einer Musik-CD.« Aus dem Stapel mit Briefen zog er einen wattierten Umschlag und entnahm ihm eine CD-Hülle, die er mir entgegenhielt. »Ein Kleinod, Tristan und Isolde, dirigiert von Karl Böhm, die Aufnahme wurde von einer Schallplatte aus dem Jahr 1966 übernommen, eine der besten Einspielungen überhaupt. Birgit Nilsson bringt die feurige Isolde und Wolfgang Windgassen den enttäuschten Tristan. Brillant!«
Einen winzigen Augenblick schien er einer imaginären Musik zu lauschen, vielleicht war es der berühmte von Violoncelli und Holzbläsern artikulierte Tristanakkord, das
Sehnsuchtsmotiv.
Er gab sich einen Ruck. »So erstaunt wie Sie jetzt gucken, Herr Mogge, war ich auch. Ich denke, wir beide hatten, was den Musikgeschmack meiner Verehrerin angeht, eher in Richtung Musikantenscheune getippt.«
Ich zuckte die Schultern. »Darüber habe ich mir keine Gedanken gemacht.«
»Aber da ist noch etwas…«
Er unterbrach sich, weil in diesem Moment die Tür aufging.
Der Mann, der hereinkam, war groß und schlank, etwa vierzig Jahre alt, Bürstenhaarschnitt, zum hellblauen Hemd trug er eine rot gestreifte Fliege.
»Tut mir Leid, dass ich so hereinplatze, aber ich wusste ja nicht…« Er warf mir einen Blick zu, der mich in
Sekundenschnelle taxierte, und fuhr fort: »… dass Sie Besuch haben, Herr Kelian.«
Der Angesprochene machte uns miteinander bekannt: »Herr van Eicken, das ist Elmar Mogge, ein privater Ermittler.«
»Gibt es einen Anlass, Schwierigkeiten im Haus?«, fragte van Eicken. Kein Mann der langen Worte; schon seine Entschuldigung über die Störung hatte wie eine Anklage geklungen.
»Nein, nein«, Kelian hob die Hände, »wir hatten an ein Porträt gedacht, das in unsere Sendung Die rote Couch passen würde, Thema ›Schimanskis Erben‹, wie sieht der Alltag eines Privatdetektivs aus…«
Kelian war auf Draht, das musste man ihm lassen, was er da so aus dem Stegreif entwickelte, war beachtlich.
»Hört sich nicht schlecht an, mein lieber Herr Kelian«, stimmte van Eicken lächelnd zu. Bei seinem Lächeln machten die Augen nicht mit, deutlich sah man seinem Gesicht an, was er wirklich dachte: Kelian, Sie mögen eine begabte
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