Stelzvogel und Salzleiche
ein, achtete darauf, dass sich eine schöne Schaumkrone bildete, und servierte die Tortilla.
Während wir aßen, warf ich einen Blick auf die Notizen, die Becker mitgebracht hatte; sie stammten aus der WAZ und anderen Tageszeitungen und rundeten das Bild ab, das ich durch den ersten Artikel bereits gewonnen hatte.
Demnach war Yannick Gorgas, der mit einem Rennrad
unterwegs gewesen war, von hinten angefahren worden. Um welchen Fahrzeugtyp es sich bei dem Unfallverursacher gehandelt hatte, konnte von der Spurensicherung nicht eindeutig festgestellt werden. Die Polizei ging davon aus, dass Gorgas durch den Aufprall in den Straßengraben geschleudert wurde, wo er unglücklicherweise in eine Glasscherbe stürzte, die ihm die Halsschlagader durchtrennte. Unglücklicherweise?
Konnte es nicht auch so gewesen sein, dass der Unfall bewusst verursacht worden war und der Verletzte von dem Verursacher dann mit der Glasscherbe…? Spekulationen, die ich beiseite schob.
»Wer auch immer den Unfall verschuldet hat«, erwog ich zwischen zwei Bissen, »hätte derjenige erste Hilfe geleistet oder einen Notarztwagen gerufen, wäre Gorgas womöglich gerettet worden – so aber ist er verblutet.«
»Sehr appetitlich! Erzählen Sie ruhig weiter«, bemerkte Becker. »Schmeckt ausgezeichnet, besser als beim Spanier.«
»Weil manche spanische Köche, sind sie erst einmal längere Zeit in Deutschland, die Tortilla aus gekochten Kartoffeln zubereiten; das geht schneller, ist aber eine Sünde.«
»Gut, dass Sie so viel Zeit haben«, sagte Becker. Wieder einer, der mich darum beneidete, dass ich mir meine Arbeit selbst einteilen konnte.
»Auf Formentera nehmen die Frauen statt der dicken Bohnen auch wilden Spargel.«
»Themenwechsel!« Becker deutete mit seiner Gabel zu den Zeitungsausschnitten. »Wofür brauchen Sie die Artikel? Steckt mehr dahinter als nur ein Unfall?«
»Diesen wilden Spargel gibt es aber nur im Winter, von Januar bis März. Beim Pflücken der jungen Triebe muss man höllisch aufpassen, weil der Spargel lange, spitze Dornen hat.«
»Schon verstanden.« Becker legte die Gabel zur Seite. »Sie wollen jetzt nicht darüber reden. Aber irgendwann schulden Sie mir eine Antwort.« Der Zeitungsmann erhob sich. »Ich muss wieder los.«
»Soll ich Sie zur Redaktion bringen?«
Er wies auf seine Joggingschuhe. »Kleiner Trainingslauf.«
Ich wartete, bis er weg war, dann nahm ich mir noch einmal die Notizen vor.
Eine der Meldungen ging mehr ins Detail:
… an der Unfallstelle verblutet. Ein Autofahrer hatte den Schwerverletzten gefunden und mit dessen Funktelefon die Polizei gerufen sowie die Ehefrau des Verunglückten benachrichtigt, deren Anschluss als Notrufnummer in dem Handy gespeichert war. Ehefrau, Polizei und
Krankenwagen erschienen fast zeitgleich an der
Unfallstelle. Der Verletzte starb in den Armen seiner Frau, die einen Schock erlitt und ärztlich behandelt werden musste. Direkte Augenzeugen des Vorfalls gibt es nicht, doch will ein Spaziergänger, der sich später bei der Polizei meldete, einen Geländewagen mit verchromtem
Rammschutz, einem so genannten Kuhfänger, gesehen haben, der sich mit hoher Geschwindigkeit vom Unfallort entfernte. Im Zuge der Ermittlungen wurde ein Mann aus Oberhausen vorläufig festgenommen, den die Polizei inzwischen jedoch wieder auf freien Fuß gesetzt hat, da er für die infrage kommende Zeit ein Alibi vorweisen konnte.
Befragt wurde auch Irene G. die Ehefrau des
Verunglückten, weil sie, nach Aussage der Polizei, die Nutznießerin einer beträchtlichen Versicherungssumme ist.
Der besagte tödliche Unfall ereignete sich im Wald südlich der Sechs-Seen-Platte unweit der Bissingheimer Straße…
Ich kannte die Stelle, sie lag im Duisburger Süden zwischen dem Breitscheider Autobahnkreuz und der B 288. Einerseits war das Gebiet abgelegen, andererseits schnell zu erreichen, per Auto und Motorrad von der Oberhausener Autobahn oder mit dem Fahrrad von Gorgas’ Wohnort Froschenteich. Es gab asphaltierte Waldwege, die durch ein Naturschutzgebiet führten, ideal für Radsportler und Jogger; es gab Bäche, Gräben und Seen, Vögel, Hase und Igel – es war ein wunderschöner Flecken Erde mitten im Ruhrgebiet und außerdem nahe der Stelle, wo jemand dem Gauner Schopper die Gurgel durchgeschnitten hatte. Dass Tatort und Unfallstelle so dicht beieinander lagen, konnte ein Zufall sein.
Aber dann, nach einem Blick auf das Datum der Zeitung, fiel mir noch etwas auf: Die beiden
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