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Stelzvogel und Salzleiche

Stelzvogel und Salzleiche

Titel: Stelzvogel und Salzleiche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Niklaus Schmid
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Mogge, wo waren Sie gestern zwischen siebzehn und zwanzig Uhr?«
    Nicht zu hastig, nicht zu zögerlich antworten. Ich richtete meinen Blick auf die Eingangstür. Blasses Herbstlicht fiel auf immergrüne Bäume, welke Blumen, Grabsteine und Rabatten.
    Der Sektionssaal der Duisburger Kripo, volkstümlich auch Leichenschauhaus genannt, befand sich, gar nicht so unfreundlich, in einem efeuumrankten Backsteinbau neben dem Friedhof von Walsum-Aldenrade.
    »Na?«
    »Ich war in meinem Wagen.«
    Klar, lachhaft. Um Tepass’ Mundwinkel begann es schon zu zucken. Er glaubte mich in der Ecke zu haben, stehend k. o. Im Geiste schloss er schon die Säuferzelle auf. Aber hätte ich sagen sollen, ich habe zu Hause ferngesehen? Nein, besser war es, nahe bei der Wahrheit zu bleiben.
    »In Ihrem Wagen. Allein?«
    »Nein.«
    »Verstehe, mit einer Frau, die verheiratet ist und deren Name Sie als Gentleman nicht nennen wollen, stimmt’s?« Seine Stimme triefte vor Hohn, während er diesen Klassiker unter den unglaubwürdigen Alibis zitierte.
    »Nein, mit einem Mann.«
    Seine Augenbraue mit den rötlich blonden Borsten ging in die Höhe. »Und mit diesem Mann haben Sie im Auto, ähm…«
    »Ja, Schach gespielt.«
    »Die ganze Zeit?«
    »Nein, spazieren gefahren, und dann haben wir eine Partie Schach gespielt.«
    »Aber den Namen Ihres Schachpartners, den haben Sie vergessen, logisch, weil’s ja nicht der 11. September war.«
    »Nein, den Namen weiß ich noch.«
    »Ich höre.« Er hielt sich tatsächlich die Hand ans Ohr.
    »Kurt Heisterkamp, Hauptkommissar Kurt Heisterkamp vom Duisburger KK 11.«
    Er sah mich an, als hätte ich ihn in den Bauch getreten, dann griff er zum Telefon in seiner Manteltasche und machte, derweil er wählte, drei Schritte zur Seite. »Hm, ja, gut, wir sprechen noch darüber«, hörte ich ihn murmeln, mehr nicht.
    Das Gespräch, das ich vor einigen Stunden mit meinem Freund geführt hatte, war ähnlich knapp verlaufen.
    »Frag jetzt nicht, warum, Kurt«, hatte ich am Telefon gesagt,
    »ich will nur wissen, ob du dich an die Uhrzeit erinnerst, wann wir gestern zusammen spazieren gefahren sind und
    zwischendurch Schach gespielt haben, war es nicht so zwischen siebzehn und zwanzig Uhr? Ja oder nein?«
    »Ist es ernst?«
    »Sehr!«
    »Doch ja, wo du es jetzt sagst, erinnere ich mich genau. Weil ich auf die Uhr geschaut habe, gut zwei Stunden waren wir zusammen.«
    Und genau das musste mein Freund jetzt, wie ich den Gesichtsausdruck von Kommissar Tepass deutete, auch behauptet haben.
    Danke, Kurt!, sprach ich in Gedanken.
    Tepass’ Mund war ganz schmal geworden, es war kaum mehr als ein Zischen, als er sagte: »Sie können gehen, aber halten Sie sich zur Verfügung.«
    46.
    Harry Keller stand vor einem Gemälde von Georg Baselitz, er hatte die Hände mit dem Ausstellungskatalog auf dem Rücken gekreuzt und hielt den Kopf schräg; was ihm aber bei der Bildbetrachtung nicht viel half, denn wie üblich hatte der Künstler die abgebildete Figur, die einen Fisch als Mund hatte, auf den Kopf gestellt. Ob Keller wusste, dass die Mafia toten Verrätern einen Fisch in den Mund steckte? Ob Baselitz das beim Malen im Sinn gehabt hatte?
    Als ich auf Keller zutrat, drehte er sich um und schwenkte den Katalog, wie Reiseleiter es tun, um ihre Schäfchen auf sich aufmerksam zu machen.
    »Gerhard Richter, Anselm Kiefer, alle Achtung, mit dieser Sammlung zeitgenössischer Kunst hat Duisburg einen großen Fang gemacht. Und auch der Umbau der Küppersmühle ist gelungen. Als es damals um die Umwandlung des Innenhafens ging, dachte ich, die machen das hier genauso platt wie das ehemalige Industriegelände beim Centro in Oberhausen. Aber schau an, die alten Speicher, die Verladekräne, alles noch da, auch wenn sie keine Funktion mehr haben. Nein, keine Ironie, wirklich, Schlömm, in diesem Punkt kannst du stolz sein auf deine Heimatstadt. Natürlich kenne ich das Lehmbruck-Museum bereits von vielen Besuchen, aber das hier« – er drehte sich einmal um die eigene Achse – »das wollte ich mir immer mal ansehen.«
    »Und jetzt bist du hier.«
    »So ist es. Aber nicht nur wegen der Bilder von Penck, Baselitz und Co.«
    »Was du nicht sagst.« Vor zwei Stunden hatte er mich angerufen, er müsse mich unbedingt sprechen. Ich dachte schon, es würde mal wieder, geheimnisvoll wie er tat, ein Besuch im angeblich abhörsicheren Gasometer anstehen, doch dann hatte er als Treffpunkt das Museum Küppersmühle vorgeschlagen. »Komm, Harry, rück raus

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