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Stelzvogel und Salzleiche

Stelzvogel und Salzleiche

Titel: Stelzvogel und Salzleiche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Niklaus Schmid
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Lieblingsbeschäftigungen. Entspannt genießen konnte ich das heute jedoch nicht. Der Fall mit dem weiblichen Stelzvogel war abgeschlossen, das Honorar im Sack. Doch zufrieden war ich nicht.
    Also saß ich da an meinem Schreibtisch, starrte auf das Telefon, aber keiner wollte mit mir sprechen.
    Ich schaltete den Computer an. Nach mehreren Klicks schaufelte mir das Programm zwei Nachrichten in meinem elektronischen Briefkasten. Die erste Mail, allem Anschein nach Werbemüll, ließ ich ungeöffnet. Die zweite Mail, Absender Cetin, markierte ich mit einer gewissen Spannung, denn die Büroklammer verwies auf einen Anhang. Und der las sich so:
    Lieber Tristan,
    »Seid aber Täter des Worts und nicht Hörer allein«, so hatten Sie in einer früheren Sendung mal einen Satz aus dem Brief des Jakobus zitiert. Aber ja doch, nicht nur Hörer, sondern auch Täter! Wie konnten Sie nur zweifeln, dass ich Ihnen helfen würde! Oder haben Sie insgeheim trotzdem damit gerechnet? Nun wissen Sie es.
    Ihre Stimme klang so männlich, so ernsthaft, so voller Tragik und Würde, als Sie den Tod Ihres Chefs in den
    Lokalnachrichten bekannt gegeben haben. Ihre Worte sind mir regelrecht ins Gedächtnis gebrannt: Axel van Eicken ist ermordet worden. Wir trauern um einen großartigen Kollegen…
    Die Mail gab den kompletten Schmus wieder, den ich genauso gut kannte wie die Schreiberin und all die anderen Hörer von Radio Vital auch. Einschließlich der Passage, die dem unvermeidlichen Hinweis auf den »großartigen Kollegen, glänzenden Journalisten und vorbildlichen Vorgesetzen« in Kelians Rede gefolgt war:
    »… Betroffenheit, ja Entsetzen im Sender – und die Polizei tappt im Dunkeln. Einziger Anhaltspunkt ist die Aussage eines Waldarbeiters, der in der Tatnähe einen kräftig gebauten Mann mittleren Alters gesehen haben will und etwas von den Methoden der russischen Mafia erzählte. Spekulationen, denn ein Tatmotiv ist nach dem derzeitigen Ermittlungsstand der Kriminalpolizei nicht zu erkennen…«
    So weit Kelians Trauerrede. Irenes Brief an den
    angehimmelten Moderator hatte mein Gedächtnis wieder aufgefrischt.
    Ich brachte den Mauszeiger auf die E-Mail und rollte den Text weiter bis zum Ende:
    Lieber Tristan, etwas anderes macht mir Sorgen: Warum melden Sie sich nicht mehr?
    Für mich war das keine besonders große Überraschung. Ich hatte damit gerechnet, dass Kelian sich zurückziehen würde.
    Der gesamte Brief ließ mich ziemlich kalt. Ich druckte ihn aus und fuhr den Computer herunter. Nachdem das etwas nervige Gebläse des Rechners sowie das Knistern des Monitors verstummt waren, wurde es wieder ganz still in meinem Büro.
    Ich lehnte mich im meinem Drehstuhl zurück, legte die Hände in den Schoß, schloss die Augen. Ab und zu hörte ich es in der Etage unter mir rumoren, die ersten Gäste kamen.
    Ich zog ein frisches Hemd an, klatschte mir etwas
    Rasierwasser unter die Achseln, überprüfte mein Aussehen im Spiegel und ging mit dem Blumenstrauß in der Hand hinunter.
    Blumen sind neutral, sie riechen gut, sie welken schnell, die Gastgeberin muss das Geschenk nicht aufbewahren für den Fall, dass der Geschenkgeber mal vorbeikommt. Was also ist verkehrt an Blumen? Nichts! Trotzdem kam ich mir blöd vor.
    Paula nahm mir den Strauß ab, sagte, ach, wie lieb, wies mir einen Stuhl zu und erklärte: »Hier in der ersten Reihe, die Kinder führen gleich ein Musical auf, wie du dir denken kannst, den Anfang nur.«
    In den Reihen hinter mir saßen die Mütter der Kinder, ein paar junge mit verbiesterten Gesichtern, die sicher nur Vollwertkost und sozialpädagogisch wertvolles Spielzeug zuließen, ein paar ältere, die zunächst Karriere gemacht hatten, sich anschließend ein Kind geleistet hatten und nun mit aller Macht versuchten jung auszusehen. Und natürlich die kumpelhaften Mütter in Jeans und bedruckten T-Shirts.
    Ich war der einzige Mann. Eine ganze Zeit lang. Dann stießen zwei Männer zu uns, die sich in diesem Kreis noch
    unpassender vorkommen mussten. Es waren Sedau und Voss, die beiden Beamten, die mich beim Treppewischen angetroffen hatten. Sie tuschelten mit Paula, die eine Handbewegung zur ersten Reihe machte, worauf die beiden die zwei Plätze einnahmen, die dem Ausgang am nächsten lagen.
    Als die Kinder in ihren Kostümen, die Raumfahreranzügen nachempfunden waren, sich auf der improvisierten Bühne aufstellten, erschien noch ein Besucher. Es war Gregor Kelian, klein, zart, ein Männchen nur, doch als er die

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