Sten 6 - Morituri-Die Todgeweihten
war eigentlich schiefgelaufen? Sie waren auf den Frachter zugeschlendert, doch niemand war
herausgekommen. Ungeduldig hatte sich Skinner ans Funkgerät gehängt, um herauszufinden, was da los war. Keine Antwort. Was sollte denn dieses Spielchen? Sie hatte mehr als genug Mordida in der Tasche, um jeden auszuzahlen, wenn nötig bis hinauf zum Kapitän der Santana.
Der Sekretär kam aus seinem Büro herbeigeeilt.
So wie er aussah, gab es noch mehr Ärger. "Verzieht euch, aber sofort", kläffte er.
"Was soll der Quatsch? Wir haben eine Abmachung, falls du's vergessen hast."
"Die Abmachung ist geplatzt. Der einzige Grund, weshalb ich dir das sage, anstatt gleich ein paar Jungs vorbeizuschicken, die euch den Arsch versohlen, hast du dem Umstand zu verdanken, daß wir schon früher Geschäfte miteinander gemacht haben. Du hast noch was gut bei mir. Und jetzt haut ab!"
Skinner blies sich zu bullengemäßen
Dimensionen auf, ein Bild, das nicht gerade wenig Eindruck machte. Doch bevor sie seinen Unterleib ihren vollen Zorn spüren lassen konnte, hörte sie Jubel aufbranden. Sie wirbelte herum, um sich der neuen Gefahr zu stellen - und erstarrte mit offenem Mund.
Solon Kenna! Er kam mit einer Phalanx von Adjutanten inmitten einer Meute von SDT-Arbeitern und einem Livie-Nachrichtenteam heran. Großer Gott! Skinner wußte, daß es jetzt an der Zeit war, sich dünnzumachen. Sie hätte es wissen müssen.
Dieses Jahr standen wieder mal Wahlen an. Genauer gesagt waren es nur noch zwei Wochen bis zur Wahl, weshalb alles nur noch hektischer und aufgeregter wurde. Insbesondere, da es sich bei Tyrennes Herausforderer um Kenna
höchstpersönlich handelte. Der Bezirkshauptmann konnte sie mal. Sie zog sich jedenfalls zurück.
Solon Kenna baute sich vor dem Schiff auf. Er war ein kräftiger, älterer Mann, der seinen Bauch wie der in Ehren ergraute Politiker, der er auch war, vor sich herschob. Seine Nase war von den vielen Stunden und den vielen Flaschen dick und rot geworden, doch seine Augen und seine Instinkte waren hellwach wie eh und je. Und mit seinem Lächeln, das er jetzt ungezügelt auf seinen Lieblingsnachrichtenreporter losließ, konnte er jedes Ungeheuer, das sein Haupt aus dem Sumpf reckte, auffressen.
"Ich will nicht weiter auf die Niedertracht meines Gegenspielers eingehen", sagte Solon Kenna. "Viel lieber möchte ich die Fakten für sich selbst sprechen lassen. Sie werden schon bald ans Tageslicht treten, wenn ich den armen mißhandelten Arbeitern da drinnen versichert habe, daß sie unter Freunden sind, und sie mit der schrecklichen Wahrheit von Tyrenne Yelads unersättlicher Gier zu uns herauskommen."
"Kleinen Moment, Boß", sagte der Reporter.
"Sind Sie sicher, daß Sie "Niedertracht" sagen wollen? Ich meine, vielleicht gehen wir ein wenig zu weit, wenn wir diesen Drecksack einen Lügner nennen. Aber - ich weiß nicht genau. Der Ausdruck ist ganz schön heftig. Die Leute denken vielleicht, Sie seien eingebildet."
"Kein Problem", antwortete Kenna. "Dreh es so hin, wie du es haben willst. Ich vertraue auf das Urteil eines Profis."
"Zweite Frage: wie nennen wir diese Typen?"
wollte der Reporter wissen. "Wir möchten sie doch nicht als Meuterer bezeichnen, oder ? Das wäre doch nicht der Sinn der Sache, meine ich jedenfalls."
"Ganz bestimmt nicht", antwortete Kenna. "Wir haben es hier mit Ungerechtigkeit in bisher kaum bekanntem Ausmaß zu tun."
Bevor er fortfahren konnte, wurde er vom Gejohle der Dockarbeiter unterbrochen. Die Hauptfrachtluke des Frachters begann sich knirschend zu öffnen, und nach und nach traten einige heruntergekommene Mannschaftsmitglieder aus dem Schiff heraus.
Raschid hielt sich eher am Rande des Geschehens und beobachtete mit einem professionellen Interesse, das ihn selbst verblüffte, wie sich die Situation weiterentwickelte. Pitcairn erwies sich als großartige Interviewpartnerin. Die anderen Meuterer nahmen ihre Hinweise dankbar an, und Raschid fand, daß sie ihre Aufgabe ausnahmslos hervorragend erledigten.
Trotzdem war die gesetzwidrige Fracht der Hit des Tages. Kenna ging damit wie ein abgebrühter Profi um. Sein Gesichtsausdruck wechselte von Trauer über Wut zu maßlosem Zorn angesichts Tyrenne Yelads Maßlosigkeit, mit der die ohnehin knappen AM2-Vorräte vergeudet wurden, während seine eigenen Leute verhungerten.
"Nicht schlecht", dachte Raschid. Obwohl der Kerl die unangenehme Angewohnheit besaß, mit großen Worten um sich zu werfen, wo sie überhaupt nicht
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