Stephane Hessel - ein gluecklicher Rebell
beeindruckt und von seinem diplomatischen Geschick: Stéphane bittet darum, er möge ihn mit vier, fünf Leuten in den Wald schicken, dann werde man schon sehen. Dort überredet Stéphane die Kampfesmüden, ihn nicht zu erschießen, er verspricht, sie zu den Amerikanern zu führen, dort gebe es Whiskey und Zigaretten. Der Krieg sei doch sowieso vorbei. Sie folgen ihm, unterwegs schließen sich andere Deutsche an. Aber wo sind die Amerikaner? Stéphane weiß es gar nicht. Doch hat er Glück: Im nächsten Dorf findet er »seine« Kompanie zufällig wieder.
Besser hätte auch der eingebildete Soldat Malraux kein Kriegsende schildern können, aber in diesem Fall gibt es ein Dokument, das bestätigt: »The French Captain StephenHessel made single handed 14 prisoners.« Seine Gefangenschaft endet damit, dass er selber Gefangene macht. 14 auf einen Streich! Ganz allein!
Nach diesem Abenteuer hat Stéphane Hessel genug vom Krieg, will nur noch nach Hause. Nur noch mit friedlichen Mitteln kämpfen. Von Hildesheim wird er nach Amiens geflogen. Man überprüft seine Identität in der Präfektur, man ruft Stellen in Paris an. Freunde hatten in Buchenwald den Totenschein von Stéphane gefunden und es Vitia mitgeteilt, die dem Papier jedoch keinen Glauben schenkte (»Ich kenne ihn besser, das passt nicht zu ihm«). Drei Tage später erfuhr sie, er sei schon in Amiens. »Vous l’aurez, votre Hessel« (»Sie kriegen ihn schon wieder, ihren Hessel«).
Der Zug ist pünktlich: Am 8. Mai um 15 Uhr trifft Stéphane Hessel an der Gare du Nord ein, wo sonst? In dem von einem deutschen Architekten gebauten Bahnhof, an dessen Fassade unter den Zielorten auch der Name Berlin zu lesen ist. Unter einer Frauenstatue. Auf dem Bahnhof erwartet Vitia ihn, und neben ihr Tony Mella. Für einen Deportierten sieht Stéphane recht erholt aus. An diesem privaten Freudentag der Hessels wird in Paris das offizielle Kriegsende gefeiert – aber im algerischen Sétif begeht die französische Armee ein schreckliches Massaker. Die Zukunft hält allerlei neue Probleme bereit, mit denen auch Stéphane Hessel zu tun bekommen wird.
»Meine Deportation war vollkommen atypisch«, hat Stéphane Hessel später immer wieder betont. Und wie dramatisch auch alles verlief, es war nicht zu vergleichen mit dem puren Horror der Vernichtungslager. Er hatte eine Chance, zu überleben, er hatte Helfer finden können. Was er erlebt hatte, war fürchterlich genug, aber noch im Schrecken gab es Abstufungen, eine Richter-Skala des Horrors. Als er die Dokumente aus den Vernichtungslagern sah, war er so schockiert wie alle anderen, erlebte Erschütterungen nochnach all den Jahren. Und was Buchenwald betraf, so musste er Jahre später Eugen Kogons Buch
Der SS-Staat
lesen, trotz seiner Abneigung gegen das Aufwärmen der alten Geschichten.
Kogon war im April 1945 in einer Kiste aus dem Lager geschleust worden, um Kontakt mit den amerikanischen Truppen aufzunehmen. Bei sich hatte er einen englischsprachigen Text, der bezeugte, dass der Überbringer des Zettels auf eigenes Risiko alliierte Offiziere gerettet habe, also Hilfe und Schutz der alliierten Autoritäten verdiene. Als Garanten nannte er »F. Yeo-Thomas M. C., S/ RAF 8/4« vom SOE in London. Diesen Code hatte Yeo-Thomas allerdings Dietzsch gegeben.
Nach der Befreiung des Lagers am 11. April 1945 durch die Amerikaner arbeitete Kogon mit dem amerikanischen Leutnant Albert Rosenberg zusammen (der eigentlich ein Emigrant aus Deutschland war und den Jorge Semprún in seinen Büchern hartnäckig als Rosenfeld beim falschen Namen nennt). Es entstand ein erster Report über die Verhältnisse im Konzentrationslager Buchenwald, die Kogon sieben Jahre lang miterlebt hatte. Dieser Buchenwald-Report wurde aber erst sehr viele Jahre später veröffentlicht, er war jedoch die Basis für Kogons Buch
Der SS-Staat
, in dem historische Analyse des Systems der deutschen Konzentrationslager und eigenes Erleben zusammenflossen. Dieses zum Klassiker gewordene Buch, das erstmals 1947 erschien und immer wieder auf den neuesten Wissensstand gebracht wurde, war auch eine moralische Leistung des Autors und ein zweiter Sieg des freien Geistes über die Gewaltherrschaft.
Auch mit dem Kapo Dietzsch ist Stéphane Hessel später wieder in Kontakt gekommen und erfuhr seine vollständige Geschichte. Bevor Buchenwald befreit wurde, wollte die SS alle störenden Zeugen beseitigen. Die Todesliste fiel demArzt Ding-Schuler in die Hände. Darauf
Weitere Kostenlose Bücher