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Stephane Hessel - ein gluecklicher Rebell

Stephane Hessel - ein gluecklicher Rebell

Titel: Stephane Hessel - ein gluecklicher Rebell Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manfred Fluegge
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Wahrnehmung, unsere phänomenologische Karriere.
    Das Verhältnis beider Dimensionen zueinander, der Wunschgeschichte und der Sozialgeschichte, ist nicht einfach (außer in der Idylle, im Kitsch), es ist spannungsvoll, schmerzlich und niemals eindeutig. Zwischen Etappen und Epochen der Lebenslinie und zwischen Werten und Wunschzielen der Glücksvertikalen besteht ein Wechselspiel. Und beide Ebenen haben ihre Mythen: die linearen oder epischen oder heldischen und die Mythen des Genusses und des Strebens. Sind Letztere die modernen Mythen, von Don Juan und Faust bis Emma Bovary? Steht DonQuichotte auf der prekären und komischen Kippe zwischen beiden Sphären? Das wäre eine andere Debatte.
    Zwei Folgerungen auf zwei Ebenen gibt es gemeinhin: die Lebensweisheit, die »sagesse«, die einen klugen Verzicht auf den Vorrang der Glücksgeschichte fordert und diesen Bereich an die Opernbühne delegiert, und vor allem den Roman seit dem 19. Jahrhundert, exemplarisch durch Flaubert, seit das lineare, epische Heldentum durch soziale und moralische Mobilität ersetzt worden ist. Auch Maupassants Bel Ami ist nur noch ein Glücksritter des Genusses, wenn auch mit sozialen Absichten. Die tiefe Ewigkeit, die aller sinnliche Genuss angeblich erstrebt, ist aber nur in dem Maße gewährt, wie er sich in Kunst verwandelt.
    Jules und Jim
gehört zu den Versuchen des 20. Jahrhunderts, diese traditionellen Reaktionen, Weisheit oder Roman, zu überwinden in einem Lebensideal der Gleichzeitigkeit und der Nichtentscheidung, als Vorspiel zu allen Versuchen der Lebensavantgarde seit den sechziger Jahren. Daher die bleibende Aktualität dieses Stoffes. Literatur, insbesondere die Erzählung, spielt mit den Werten von Glück und Linie, von Lebensverlauf und Wunschziel, daher auch ihre existentielle Bedeutung, ihr Reiz, ihre Wirkung von den Märchen bis zu großen Filmen.
    Allein in der Fiktion kann die Glücksgeschichte an ihr Ziel gelangen. Die Literatur ist eine Bewältigung des eigenen Glücksstrebens, die auf die Linearität des Lebens, das heißt auf seine Zeitlichkeit, in der Linearität des Erzählens zurückgebunden wird. Das Andere ist das, was dem Wünschenden fehlt, maximal: die ganze Welt (wie dem heiligen Antonius in der Wüste). In den Beschwörungen der Liebe und des Abenteuers in der Literatur verschwistert sich die Erzählung mit der Glücksgeschichte – aber nur zum Schein, als verführerische Illusion.
    Aus diesem Paradox und Widerspiel lebt jeder Roman. Literatur, insbesondere die Erzählform, dramatisiert Wahrnehmungund Erinnerung und Weltverstehen, macht sie zu spannenden Geschichten, macht den Wunsch zur Suche und zum Abenteuer. Diese Dramatisierung durch die Schaffung eines eingebildeten Spieleinsatzes sorgt dafür, dass die Welt des puren Scheins immerfort die Einlösung eines gesteigerten Wunsches verspricht; das ist das Glücksversprechen, das Stendhal in der Schönheit sah.
    Rochés Roman
Jules et Jim
schildert den vergeblichen Versuch eines ganz anderen Lebens. Und wie in einem ordentlichen französischen Roman üblich, wird die Moral dieser Geschichte auch deutlich ausgesprochen: »Jules und Jim lebten mit ihrer leibhaftigen griechischen Statue und waren ihr dankbar dafür. Wir müssen bei null beginnen, sagte Kathe, wir müssen die Regeln wiederentdecken, die Risiken eingehen und bar dafür bezahlen.« Beide träumen von einer idealen Existenzform, einem Künstlerleben, einem leidenschaftlichen Leben, in dem Liebe und Poesie sich vermischen und aneinander entzünden und steigern.
    Doch die Lebensgeschichte und die Glücksgeschichte entsprechen einander nur im Schein. Nur in der Literatur, nur als Literatur kann sich die Glücksgeschichte erfüllen, nur das erzählte Leben wird zur befriedigenden Mischung aus Poesie und Liebe, auch dann, wenn ein Scheitern erzählt wird. Denn im Roman ist das Mögliche schon immer wirklich. Die durch eine lebendige Stimme vergegenwärtigte Geschichte ist bereits das Glück, das sie verspricht. In der Lebensgeschichte ist alles Streben und Wünschen zuletzt eitel wie Wüstenwind.
    Den Beteiligten selber bleibt nur, wie bei Goethe versprochen, das Glück ohne Ruh, das ja kein Glück ist. Sie lebten im Glücksversprechen einer künftigen Geschichte. So wäre der Grad an literarischer Verwandlung der Maßstab für das Glück, und gemessen daran hat Franz Hessel mit seinem lebenslangen Schreiben und hat auch Roché mit seiner zuletzt geretteten Geschichte mehr Glück gehabt alsHelen

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